Säugetier Mensch

In jeder Zelle unseres Körpers tragen wir das Erbe unserer stammesgeschichtlichen Vergangenheit. Unsere biologische Ausstattung ist vor allem die von mit einer Plazenta ausgestatteten Säugetieren. Als Primaten gehören wir zu einer sehr artenreichen Säugergruppe, zu der man heute Halbaffen, (echte) Affen, Menschenaffen und Menschen zählt. Den Namen Primaten – die „an höchster Stelle stehenden“, die „Vorrangigen“, die „Herrentiere“ – erhielten sie, dem Menschen zu Ehren, von dem Systematiker Carl von Linne.

Die Arten der Säugetiere haben zwar ein unterschiedliches Aussehen, ähneln sich aber auffallend sowohl in der Zahl ihrer grob um die 20 000 Gene, als auch teilweise in deren Anordnung im Genom. Unterschiede resultieren vor allem aus Mutationen in Genschaltern (Enhancern), welche die Gene regulieren, das heißt: steuern, wann und wo Gene im Körper aktiv werden. Dadurch konnten einzelne Körpermerkmale, aber auch ganze Körperteile grundlegend umgestaltet werden, ohne dass sich die entsprechenden Gene selbst verändern.

Die Vorfahren der Säugetiere

Vor 365 Millionen Jahren verließ eine Abstammungslinie der Knochenfische das Wasser und es entstanden die ersten vierfüßigen Landwirbeltiere. Von einer Gruppe lungenatmender Amphibien, den Labyrinthodontiern, stammen die ersten Reptilien, die Cotylosaurier, ab, die vor 340 Millionen Jahren im Oberkarbon auftraten. Diese spalteten sich in zwei große Linien auf: Die Sauropsiden, aus denen die Saurier und alle rezenten Reptilien und Vögel hervorgingen, und die Synapsiden, aus denen sich einige fossile Reptiliengruppen sowie fossile wie rezente Säugetiere entwickelten.

Am Ende des Erdzeitalters Perm, vor etwa 252 Millionen Jahren, ereignete sich das schlimmste Massenaussterben der Geschichte, als Megavulkane im Bereich des heutigen Sibirien Millionen Jahre lang Lava und Kohlenstoffdioxid ausspuckten. Sie verursachten dadurch eine globale Hitzewelle, der bis zu 95% aller Spezies zum Opfer fielen. Auch die meisten Amphibien und Reptilien, die bis dahin die Tierwelt beherrscht hatten, wurden ausgelöscht. In den frei gewordenen Räumen entwickelten sich viele noch heute bedeutende Tiergruppen: Frösche, Echsen, Schildkröten, Krokodile, Dinosaurier und die Vorläufer der echten Säugetiere.

Unter den vielfältigen Arten, die Eier legten, befand sich auch ein unauffälliges kleines Tier von der Größe eines Hundes, Cynognathus (245 bis 237 Millionen Jahre v. h.). Anders als die herkömmlichen Reptilien hatte dieser Vierbeiner schon ein schwach ausgeprägtes Haarkleid und nur einen einzigen durchgehenden Unterkieferknochen (und nicht mehrere, wie die anderen Reptilien). Der Waldbewohner gilt als Bindeglied zwischen Echsen und Säugern.

Vor etwa 232 Millionen Jahren begann auf der Erde nach Millionen Jahren trockenen Klimas eine warme, regenreiche Zeit, in der sich die frühen Dinosaurier zu zahlreichen verschiedenen Spezies diversifizierten. Bei den Säugerartigen (Protosäuger), meist kleine Pflanzenfresser, erhöhte sich plötzlich die Anzahl der typischen Säugereigenschaften. Sie besaßen zwar noch Reptilienmerkmale, wiesen daneben aber schon etwa im Schädelbau und der Stellung der Gliedmaßen (unter dem Köper) charakteristische Merkmale für Säuger auf. Auch trugen sie bereits ein Fell und konnten schon kräftiger und präziser zubeißen und kauen als ihre Vorgänger. Möglicherweise entwickelten sie sogar schon scharfe Sinne und das Säugen ihrer Jungen.

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Noch gibt es allerdings Unsicherheiten, was den zeitlichen Ablauf der Evolution der säugertypischen Schlüsselmerkmale angeht. Älteste Hinweise auf das typische Säugergebiss sind wohl 220 Millionen Jahre alt. Während Reptilien ein relativ einfaches Gebiss besitzen, entwickelten sich bei Säugern nach und nach unterschiedliche Formen und Funktionen. (Die ersten eindeutigen Zähne tauchten bei den Kieferfischen auf. Sie stammen von spezialisierten Fischschuppen ab, die während der Evolution nach und nach zur Mundöffnung wanderten und immer härter wurden.)

Ein Überschuss an Eiweiß und Fett in der Ernährung ermöglichte es den Säugetier-Ahnen, die Eier im Körper zu entwickeln und Milchdrüsen auszubilden. Durch das Trinken von Muttermilch erhielten die Jungtiere eine besonders gehaltvolle Nahrung, was zu einem intensiveren Stoffwechsel führte. Die Säugetierjungen wuchsen so rascher heran und überlebten eher. Zudem förderte die längere Zeit in der Obhut der Mutter bzw. Eltern das Imitationslernen, was zur Entwicklung eines größeren Gehirns beitrug. Auch Hirnbereiche für Riechen und Hören sowie für Berührungsreize von der Haut und den Haaren vergrößerten sich. Zudem entwickelte sich ein komplexeres Verhalten als bei ähnlich großen Reptilien – obwohl der Unterschied zu den modernen Säugern nochmals beträchtlich war.

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Spätestens irgendwann gegen Ende der Trias, vor gut 200 Millionen Jahren, tauchten die ersten Tiere mit typischem Säuger-Lebensstil auf. Dann folgte die nächste geologische Katastrophe, als der Superkontinent Pangäa zerriss und Vulkane ausbrachen, deren Eruptionen die Atmosphäre vergifteten und Ökosysteme zusammenbrechen ließen. Möglicherweise überstanden die Säugerartigen diese Zeit nur, weil sie dank ihres größeren Gehirns und erhöhten Stoffwechsels, der geschärften Sinne und eines gesteigerten motorischen Geschicks auch im Dunkeln und in kühlen Nächten aktiv sein konnten.

Auch etliche Dinosaurier kamen bei dem Massensterben davon. Die meisten von ihnen waren warmblütig, flink, gefiedert und hatten hohle Knochen. In mancherlei Hinsicht – etwa bei der Atmung – waren sie den Säuger-Ahnen überlegen, wuchsen in der Folgezeit zu Riesen und grenzten die Vorfahren der Säuger aus den ökologischen Nischen der Großtiere aus. Diese konnten dagegen mit ihrer geringen Körpergröße Nischen erobern, die den größeren Sauriern verschlossen blieben. Dort machten sie eine eigene rasche Entwicklung durch.

Die frühen Säugetiere

Vor mindestens 178 Millionen Jahren traten im mittleren Jura im Schatten der Dinosaurier die ersten echten Säuger (Mammalia) in Erscheinung. Ihre geringe Körpergröße war letztlich entscheidend für die Entwicklung ihrer Warmblütigkeit. Fehlt die Sonne, dann ist es kalt, und kleine Körper kühlen schneller aus. Mit der inneren Heizung aber konnten die Säuger vor allem nachts und bei niedrigen Temperaturen beweglich und aktiv bleiben. Dazu hatten sie ja schon eine neuartige Wärmeisolation hervorgebracht: das Fell. So erleichterte die Warmblütigkeit den kleinen Säugetieren Lebensweisen, die den wechselwarmen Reptilien verschlossen blieben, insbesondere Nachtaktivität und das Leben in Gängen unter der Erdoberfläche.

Um ihre Körpertemperatur stabil zu halten, benötigten sie sehr viel Energie. Das wiederum erforderte eine weitere Verbesserung in der Nutzung der Nährstoffe. Durch Kauen und Herunterschlucken der Nahrung in kleinen Stücken war es gelungen, mehr Kalorien herauszuholen. (Schlangen und Alligatoren etwa verschlingen dagegen ihre Beute als Ganzes.) So stand den ersten echten Säugetieren mehr Energie zur Verfügung, als es für ihre Bewegungen nötig gewesen wäre, so dass sie einen großen Teil davon zur Aufrechterhaltung der Körperwärme verwenden konnten.

Für eine verbesserte Kauleistung müssen die Zähne korrekt funktionieren, d. h. die gegenüberliegenden Oberflächen müssen auf Millimeterbruchteile genau zusammenpassen. Sie schleifen sich dann ein und können nicht beliebig gewechselt werden. Darin liegt der Grund, warum bei den meisten Säugetieren – und auch bei uns – im Gegensatz zu Fischen und Reptilien keine neuen Zähne (außer beim Milchgebiss in der Kindheit) nachwachsen, wenn die alten abgenutzt oder zerbrochen sind.

Die nächtliche Lebensweise führte zur weiteren Verfeinerung des Geruchs- und Tastsinns und zur Verbesserung des Gehörs. Dadurch konnten die frühen Säuger ihre Lebensräume besser nutzen und beispielsweise Beutetiere besser orten. Von den zwei Kiefergelenken, die ihre Vorfahren noch besaßen, wurde eines aufgegeben. Die entsprechenden Kiefergelenksknochen wurden zu Gehörknöchelchen – eine Verlagerung, wie sie auch beim Menschenembryo noch zu beobachten ist. Im weiteren Verlauf der Evolution wurde der empfindliche Hörapparat im Innenohr in eine feste Knochenhöhle eingebettet und so von lauten Kaugeräuschen einigermaßen abgeschirmt, wodurch sich seine Leistungsfähigkeit steigerte.

Die Umbildung des Kiefergelenks zu Gehörknöchelchen und die Entwicklung von Ohrmuscheln erleichterten auch die Kommunikation und waren wichtige Voraussetzungen für die Erschließung einer Nahrungsquelle, die gerade in der Zeit der beginnenden Säugerevolution im Jura anfing, reicher zu fließen: Insekten. Insgesamt kristallisierte sich zu der Zeit schon ein evolutionäres Leitmotiv der Säugetiere und ein Schlüssel zu ihrem Erfolg heraus: Sie begegneten veränderten Bedingungen, indem sie unterschiedlichste Lebensweisen ausbildeten: Anpassung durch Hervorbringung von Vielfalt.

Die Säuger der Kreidezeit

Viele Linien der diversen Säuger des Jura sind inzwischen ausgestorben. Sie gediehen noch in der Kreide, während die Vorfahren der modernen Säuger bereits ihre eigenen Wege gingen. Diese hatten am Anfang der Kreide die wesentlichen Merkmale endgültig ausgebildet. Während der ersten 30 Millionen Jahre der Kreide bestimmten aber noch etwas urtümlichere Säuger (Triconodonten und Symmetrodonten) die Szene.

Mitten in der Kreide waren die bedecktsamigen Pflanzen entstanden, die Angiospermen – oft auch, nicht ganz korrekt, Blütenpflanzen genannt -, und breiteten sich weltweit aus. Sie boten den damaligen Säugertieren nie dagewesene Futterquellen: Wohlschmeckende Früchte, aber nicht zuletzt auch eine Fülle angelockter Insekten. (Dinosaurier sind nie eine solche enge Verbindung mit Früchten eingegangen wie die Säuger.)

In dieser Zeit blühte die Säuger-Gruppe der Multituberculata („Vielhöckrige“) auf und erschlossen sich neben Knollen, Wurzeln und anderen Pflanzenteilen nun auch die neue Nahrung: Früchte und Samen. Sie bildeten viele verschiedene und zunehmend größere Arten aus. Mit ihren diversen Lebensformen gelten sie als erfolgreichste Säugergruppe der Kreidezeit. (Sie wurden im Tertiär aber von Plazentatieren, den Nagern, verdrängt und starben vor 34 Millionen Jahren aus – lange nach dem Ende der Dinosaurier.)

Auf den südlichen Kontinenten hatten sich die Theria (nach griechisch: Thär/Thärion = „wildes, behaartes Tier“) von den noch eierlegenden Kloakentieren, deren genaue Herkunft im Dunkeln liegt, getrennt und viele insektenfressende Arten hervorgebracht. Ihre Zähne waren besonders vielseitig und wandlungsfähig und bestens dafür geeignet, sich an die neue Nahrungspalette anzupassen. Die Theria begannen sich schon bald in diverse Richtungen auseinanderzuentwickeln und spalteten sich in die Vorläufer der Plazentatiere (höhere Säugetiere; Eutheria), die einen Mutterkuchen (eine Plazenta) zur Ernährung des heranwachsenden Embryos ausbilden, und die Beuteltiere (Metatheria), zu denen heute die meisten vierbeinigen Warmblüter Australiens gehören, auf. Die Exemplare beider Gruppen waren in der ganzen Kreide allerdings noch kleinwüchsig (meist weniger als 100 Gramm schwer) und wenig zahlreich. Sie lebten am Waldboden, sozusagen unter den Füßen von gefiederten Dinosauriern, und fügten sich noch in die Nahrungsnetze ein, an deren Spitze die gigantischen Raubsaurier standen.

Die ersten Plazentatiere, zu denen auch der Mensch gehört, traten vor mindestens 120 Millionen Jahren auf, erblühten nach genetischen Daten allerdings erst so richtig vor 100 bis 75 Millionen Jahren. Womöglich hat in dieser Zeit bereits die Aufspaltung in die modernen Säugetier-Ordnungen stattgefunden. Eine Radiation, eine auffällige morphologische Differenzierung in Familien innerhalb der Ordnungen, vollzog sich aber erst (wie bei den Vögeln) nach dem Aussterben der Dinosaurier, also im Tertiär. Frühe Vertreter der Beuteltiere sowie die Multituberculata bildeten bis zum dramatischen Ende der Kreidezeit die überwiegende Mehrheit der Säugetiere.

So wuselten also während der Jura- und Kreidezeit (vor 200 bis 66 Millionen Jahren) zwischen den Beinen der Dinosaurier eine Fülle von bestenfalls dachsgroßen Säugetieren herum, die Luft, Wasser und Erdreich als Lebensraum eroberten und sich krabbelnd, kletternd, grabend, schwimmend oder gleitend fortbewegten. Sie hatten bereits fast alle bedeutenden Lebensweisen hervorgebracht, die wir von heutigen kleinen Säugern kennen, führten aber noch ein eher langsames Leben.

Ohne den katastrophalen Einschlag eines Himmelskörpers vor rund 66 Millionen Jahren würden die Dinosaurier womöglich heute noch die Erde beherrschen und den Säugetieren weiterhin nur eine Nebenrolle erlauben. Die hohe Strahlungsdosis und die langfristige Klimaänderung am Ende des Mesozoikums (Erdmittelalters) traf die riesigen Saurier tödlich, während die kleinen Säugetiere in Höhlen Schutz fanden. Mit ihren winzigen Körpern, ihrer flexiblen Ernährung sowie mit ihrer vermutlich hohen Wachstums- und Vermehrungsrate konnten diese das Schlimmste überstehen Außerdem zahlte sich aus, dass sie warmblütig waren und ihren Nachwuchs lebendgebaren, so dass die Kleinen so lange gesäugt werden konnten, bis sie alleine klar kamen.

Viele der größeren Säugetiere gingen allerdings gleichzeitig mit den Dinosauriern zugrunde, ebenso Arten mit spezialisierter Ernährungsweise. Insgesamt überstanden gerade einmal 7% der Säugetierarten die Katastrophe. Fast wären auch die Beuteltiere und ihre Verwandten ausgestorben, aber einige Arten von ihnen konnten überleben.

Aufstieg der Säugetiere

Nach dem Aussterben der Dinosaurier war jedenfalls der Weg frei für den Aufstieg der Säugetiere (vor allem der Plazentatiere) und der Vögel. Während die Vögel und auch die überlebenden Schuppentiere ihren Lebensraum weitgehend auf die schon zuvor von ihnen besetzten Nischen begrenzten, erlebten die Plazentatiere einen enormen Aufschwung und vermochten binnen kurzer Zeit – praktisch einigen Jahrtausenden – verwaiste ökologische Nischen zu besetzen und neue Nahrungsnetze aufzubauen. Schon 500 000 Jahre nach dem Ende der Kreide hatten sie im Treibhausklima der ersten Epoche des Tertiärs, im Paläozän (66 bis 56 Millionen Jahre vor heute), unzählige neue, völlig verschiedene Arten hervorgebracht. Die meisten von ihnen waren viel größer und massiger als die kreidezeitlichen Säuger, starben aber nach kurzem Aufschwung wieder aus.

Trotz der vielfältigen Spezialisierung dürften die Säuger des Paläozäns nicht besonders intelligent gewesen sein. Sie hatten sich wohl körperlich so rasch vergrößert, dass ihre Gehirne nicht mithalten konnten. Umfangreiche Gehirne könnten während dieser instabilen Periode, die ständig neue Überlebenschancen bot, wegen ihres hohen Energiebedarfs sogar hinderlich gewesen sein.

Vor etwa 56 Millionen Jahren, als das Eozän begann, wurde es sogar noch wärmer. Innerhalb weniger Jahrtausende, geologisch gesehen ein Wimpernschlag, erwärmte sich die Erde dramatisch – in den höheren Breiten sogar um bis zu 10°C. Niemals danach war es auf der Erde wieder so heiß! Die Arktis war damals völlig eisfrei, Regenwälder konnten plötzlich bis in den hohen Norden vordringen. Subtropischer Wald bedeckte den größten Teil der Landmassen, vor allem Nordamerika, Asien und Afrika.

Es gab eine explosionsartige Vermehrung der Säuger. Nahrung gab es reichlich, wenngleich das Walddickicht zunächst kaum Platz für größere Lebewesen bot. So waren es wiederum kleinere Waldbewohner unter den Säugetieren, die im Schlepptau des Klimawandels zu einem Eroberungszug rund um die Erde ausschwärmten. Tiere mit besseren Sinnesleistungen und erweiterten motorischen Fähigkeiten hatten in den ausbrechenden Konkurrenz- und Verteilungskämpfen die besseren Karten, was einen Selektionsdruck in Richtung Hirnwachstum erzeugte. Besonders Raubtiere und Allesfresser legten an relativer Gehirngröße zu und überflügelten die damaligen Pflanzenfresser.

Die vorher dominierenden primitiven Säugerarten überlebten die gewaltige Wanderungswelle nicht und verschwanden allmählich von der Erde. Die Beuteltiere starben auf den nördlichen Kontinenten aus; einige konnten sich aber nach Südamerika und mit einem anschließenden Sprung über die Antarktis nach Australien retten. Dort überlebten sie und entwickelten sich zu den heutigen Beuteltieren. In Südamerika blieben nur wenige Arten, u. a. die Beutelratten mit den Opossums, von denen zumindest ein Exemplar sich nach der Vereinigung der beiden Amerika auch nach Nordamerika ausbreitete. Kloakentiere wie Schnabeltiere und Ameisenigel fanden Zuflucht in Australien und Neuguinea, wo es heute allerdings nur noch fünf Arten von ihnen gibt.

Die Zukunft gehörte des Plazentatieren. Schon bald, als die Erwärmung nachließ, schwangen sich einige von ihnen durch die Bäume, andere erhoben sich mit ledrigen Flügeln in die Lüfte, und manche tauschten Arme gegen Flossen und wuchsen zu Kolossen des Meeres heran. Zu den Gewinnern des Klimawandels zählten auch die Primaten, die vor etwa 70 Millionen Jahren als kleine, nachtaktive Säuger die Baumwipfel erobert hatten und sich vorwiegend von Insekten ernährten. Der neue Lebensraum hatte bei ihnen eine ganze Reihe wesentlicher anatomischer Veränderungen zur Folge, vor allem im Bereich der Sinnesorgane, der geistigen Fähigkeiten und der Fortbewegungsorgane.

Als jetzt vor 55 Millionen Jahren weltweit riesige Wälder entstanden, führte der dreidimensionale, vielfältige Lebensraum zu einer weiteren Radiation. Neue Arten wurden größer und kräftiger, blieben aber immer auf den Bäumen. So entwickelten sich die Affen (genauer: Halbaffen), die sich in Feuchtnasenaffen (Lemuren, Loris) und Trockennasenaffen (ähnelten damals den heutigen Mausmakis) aufspalteten. Vor etwa 40 Millionen Jahren vollzog sich bei Letzteren der wichtige Schritt vom Nasen- zum Augentier: Die Augen waren immer enger zusammengerückt und ermöglichten binokulares (räumliches) Sehen. Zudem erwarben die Affen eine dritte Zapfensorte für das Farbsehen – jene, die die Unterscheidung von rot und grün ermöglichte -, womit sie im dichten Blattwerk der Bäume die reifen Früchte besser erkennen konnten.

Die ursprünglichen, kleinen Säugetiere hatten zwei der vier Zapfensorten ihrer Vorfahren verloren. Da sie sich tagsüber verkrochen und vorwiegend nachts herauskamen, war komplexeres Farbsehen nicht mehr nötig. Die Augen vieler Säugetiere blieben fortan dichromatisch. Meeressäuger wie Wale und Robben, die ihren Lebensraum vom Land ins Meer verlagerten, verloren sogar noch ihre zweite Zapfenart. Ihre Augen sind monochromatisch, sie sehen die Unterwasserwelt nur in blaugrünen Schattierungen. Reptilien und Vögel allerdings behielten ihre vier Zapfensorten; sie können in der Regel auch im ultravioletten Bereich sehen.

Die Vordergliedmaßen entwickelten sich zur Greifhand. Innerhalb des Merkmalskomplexes Greifhand/räumliches Sehen/Gehirn kam es zu einer positiv rückgekoppelten, sich gegenseitig aufschaukelnden Evolution, bei der auch die Ernährung (Früchte) eine wichtige Rolle spielte. Bei den Echten Affen, die zu den Trockennasenaffen gehören, lag der Gesichtsschädel in der Regel schon unter dem Gehirnschädel. Aus den Krallen hatten sich Finger- und Zehennägel entwickelt. Diese boten auch ein Widerlager für die Fingerkuppen, die zu sensiblen Tastorganen wurden.

Aus den Echten Affen entwickelten sich in Südamerika die Neuwelt- oder Breitnasenaffen, die Baumbewohner blieben, in Afrika und Asien die Altwelt- oder Schmalnasenaffen. Letztere konnten ihre Finger bereits einzeln bewegen und den Daumen aktiv den übrigen Fingern gegenüberstellen. So waren sie schon zu feinmotorischen Greifbewegungen (z. B. Lausen, Nahrungsaufnahme) fähig.

Am Ende des Eozäns (vor etwa 34 Millionen Jahren) kam es zu einer deutlichen globalen Abkühlung, die die Polkappen in der Antarktis wachsen und den Meeresspiegel sinken ließ. Gleichzeitig trieben die Nordkontinente auseinander. Die Lebensräume veränderten sich, die Waldflächen schrumpften. Ein mittelschweres Artensterben war die Folge. Auch viele Säugerarten verschwanden und jüngere Arten übernahmen ihre Plätze.

Die in den Kälteperioden plötzlich erfolgreichen Bilchmäuse beispielsweise profitierten womöglich von einem uralten Programm von Verhaltensanpassungen und Stoffwechseltricks, um im Winter lange Zeit ohne Nahrung von Reserven leben zu können. Vermutlich hatten sie sogar schon die Fähigkeit zum Winterschlaf.

Offene Landschaften wurden jetzt auch von wesentlich größeren Tieren durchstreift, etwa von solchen Riesengestalten wie den Indricotherien, den größten landlebenden Säugetieren aller Zeiten, gegen die selbst heutige Breitmaulnashörner wie Kuscheltiere wirken. Nie zuvor und auch nicht später sind größere Säugetiere auf dem Land umher gestampft. Irgendwann sind sie dann wieder ausgestorben; derart spezialisierte Arten haben bei konstanten Bedingungen zwar einen Vorteil, sind aber plötzlichen Umweltveränderungen oft nicht gewachsen.

Die Menschenähnlichen (Hominoidea)

Vor frühestens 29 Millionen Jahren, im Oligozän, trennten sich bei den Altweltaffen die Tieraffen von den Menschenähnlichen (Menschenaffen). Der Schritt zum Menschenaffen war der Verzicht auf einen kleinen Körper, und damit auch ein deutlich höheres Körpergewicht. Mit zunehmender Körpergröße begannen die Tiere, in den Bäumen unterhalb der Äste zu schwingen, anstatt auf diesen zu balancieren. Die Schulterblätter spreizten sich nach außen und verbreiteten so den Körper. Die Anzahl der Wirbel bildete sich zurück, die Wirbelsäule wurde starr und half damit, den Körper aufrechter zu halten. Die Gliedmaßen waren jetzt äußerst beweglich, die Hände sehr groß und kräftig. Da die Tiere zum Springen zu schwer wurden, brauchten sie keinen Schwanz und keine langen Beine mehr.

Zu Beginn des Miozäns (vor rund 24 Millionen Jahren) wurde das Klima wieder feuchter und wärmer: Jahresdurchschnittstemperaturen um die 20°C. Ursache war der Zusammenstoß der eurasischen mit der afrikanischen Platte. In den Wäldern wurden Laubbäume wieder häufiger. Die miozäne Zeitenwende wird oft als die Geburtsstunde unserer aktuellen Säugetierwelt bezeichnet, denn von da an sind sämtliche heutigen Säugerfamilien in der Fossildokumentation nachgewiesen. Auch für die Großen Menschenaffen (zu denen man heute Orang-Utans, Schimpansen und Bonobos, Gorillas sowie die Menschen zählt) war jetzt der Boden bereitet.

Der beim Leben auf den Bäumen erworbene primatentypische Merkmalskomplex, zu dem z. B. relativ großes Gehirn, Beweglichkeit der Hände und Füße, räumliches Sehen, sich anklammernde Babys gehören, machte eine evolutive Weiterentwicklung unter ganz anderen ökologischen Bedingungen (Savanne) möglich. Mit der fortschreitenden Hirnentwicklung war auch eine zunehmende Lernbereitschaft (Auseinandersetzung mit der Umwelt) verbunden. Dabei spielte auch die verlängerte Abhängigkeit der Primatenkinder („Traglinge„) und die lange Jugendzeit eine immer größere Rolle. Erst durch die individuelle Verhaltensflexibilität in Verbindung mit starker sozialer Abhängigkeit wurde das Entstehen komplexer Sozialsysteme überhaupt möglich.

Die zunehmende soziale Lebensweise ist ein extrem primatentypischer Verhaltenstrend. Anhaltender Entzug des sozialen Umfeldes führt bei den modernen Primaten zu Entwicklungsstörungen im gesamten Verhaltensrepertoire, im Extremfall zu totaler Unfähigkeit, sich sozial angemessen zu verhalten. Ein isolierter Affe ist kein Affe, sagt man.

Unser Erbe

Das Schlüsselereignis für die Entstehung des Menschen war wohl die Umstellung auf den aufrechten Gang. Der Anreiz zum Aufrichten des Körpers muss stark genug gewesen sein, um dafür einen anatomischen Komplettumbau in Kauf zu nehmen – samt vieler Kompromisse: Unser Rücken etwa ist zwar für den aufrechten Gang ausgerichtet, allerdings nicht optimal. Einige funktionslos gewordene Überbleibsel der evolutionären Entwicklung (Rudimente) blieben erhalten, wie z. B. das Steißbein, Ohrmuskeln und männliche Brustbehaarung. Gelegentlich treten auch Rückfälle in ein früheres, eigentlich schon überwundenes menschliches Entwicklungsstadium (Atavismen) auf: Ganzkörperbehaarung, überzählige Brustwarzen, kleiner Schwanz (bis zur siebten Woche beim Embryo normal). Menschenbabies haben auch noch einen Greifreflex, um sich im Fell der Mutter festzuklammern.

Aber nicht nur körperliche Merkmale weisen auf unsere Abstammung hin. Das Erbe unserer Vergangenheit prägt und steuert nach wie vor unser Verhalten, unsere Gefühle und unsere Handlungen (und auch unser Denken) – oft sogar, ohne dass wir uns dessen bewusst werden. Es steckt in Imponiergesten, Drohgebärden und Beschwichtigungsgesten, treibt uns den Angstschweiß auf die Stirn und lässt uns das überwältigende Gefühl des Verliebtseins empfinden. Und manches, was wir für eine freie Entscheidung des Willens halten, ist nicht viel mehr als die Wirkung des uralten Erbes, das auch in unseren Genen steckt – aber eben nicht körperliche Merkmale erzeugt, sondern „Entscheidungen“ und Verhalten.

REM

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