Das Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht in der Geschichte der Menschheit führte zu neuen technischen Entwicklungen und Bevölkerungsverdichtung. Vor ca. 5000 Jahren Jahren entstanden so in manchen Gegenden der Erde, vor allem an den großen Flüssen in Mesopotamien, Ägypten, Indien und China, komplexe Formen menschlichen Zusammenlebens. Diese so genannten Frühen Hochkulturen waren gleichsam Inseln in einem Meer dörflich-bäuerlich geprägter, also neolithischer Lebensweise, die damals auch in Europa vorherrschend war.
Jamnaja-Kultur
In der ersten Hälfte des 5. Jahrtausends v. h. trat in Europa ein zweites großes Migrationsereignis – nach der Einwanderung der ersten Ackerbauern – ein, eine massive Ausbreitung von Menschengruppen von Ost nach West, schließlich bis zu den Britischen Inseln. Die Graslandschaften nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meeres waren im Zuge eines großräumigen Klimawechsels von Osten her immer mehr ausgetrocknet. Hier lebte zwischen 5100 v. h. und 4500 v. h. das Hirtenvolk der Jamnaja-Kultur, mobile Viehzüchter, die auf ihren Pferden zumindest in der warmen Jahreszeit Rinder, Schafe und Ziegen über die Steppe trieben.
Die Pferde hatten sie vermutlich von den Botai übernommen, die sie nach Osten verdrängten. Die Domestikation der Pferde hatte unabhängig voneinander an mehreren Orten stattgefunden: Im Nahen Osten, im heutigen Ungarn, in der eurasischen Steppe. Vielleicht domestizierten die nomadischen Gruppen der Botai-Kultur vor 5500 Jahren die ersten Pferde – mehrfach und an verschiedenen Orten. Diese Nomaden lebten als Wildbeuter ausschließlich von der Jagd auf Wildpferde, ehe sie sie bändigten – vermutlich, um ihre Nahrungsquelle für Fleisch und Milch besser kontrollieren zu können. Erst später wurden Pferde als Arbeitstiere zum Transport von Lasten und zur Feldarbeit abgerichtet. Offenbar waren die Tiere schon angeschirrt und trugen Trensen, worauf Abnutzungsspuren an den Zähnen hindeuten. (Die Botai-Pferde sind die Vorfahren der Przewalski-Pferde, die die ersten Reittiere gewesen sein sollen.)
Die Jamnaja waren fast ständig auf Wanderschaft, von einer Sommerwiese zur nächsten. Die Winter verbrachten sie wohl an Fluss- und Seeufern: Es fanden sich Reste ihrer Siedlungen entlang der russischen und ukrainischen Ströme. Von diesen Halbnomaden kennt man heute vor allem viele tausend Grabhügel oder Hügelgräber, so genannte Kurgane. Während die Gräber bis 5500 v. h. zunächst noch sehr unterschiedlich waren, wurden sie nun total gleichartig. Daraus schließen die Archäologen auf einen gemeinsamen Kulturraum, und damit auch auf eine gemeinsame Vorstellungswelt.
Die Grablegen waren äußerst schlicht. In den älteren Hügelgräbern der Jamnaja-Menschen lag oft nur ein einzelner Bestatteter in einer eingetieften Grube (russisch Jama), mal in Rücken-, mal in Seitenlage, mit angezogenen Beinen, bestäubt mit gemahlenem roten Ocker. Als häufigste Grabbeigabe finden sich Tierknochen, seltener Keramikgefäße, knöcherne Perlen oder durchbohrte Tierzähne, Nadeln, Feuersteinabschläge und ganz selten auch kleine Dolche aus Kupfer oder Arsenkupfer. Ansonsten aber gab es keine Waffen oder Ähnliches als Grabbeilagen.
In etwa jedem hundertsten Grab in späterer Zeit wurden hölzerne Scheibenräder und Wagenteile, teils auch ganze hölzerne Wagen (200 Kilogramm schwer) gefunden – wohl ausgesprochene Statussymbole.
In der heutigen Ukraine waren in der dortigen baumlosen Landschaft die Bedingungen gegeben, welche die Nutzung des Wagens überhaupt erst sinnvoll erscheinen lassen. In den Ebenen dienten die Karren den Nomaden zunächst womöglich auch als mobile Wohnstätten. Wer einen von Ochsen gezogenen Wagen besaß, konnte Vorräte, Werkzeuge und anderen Hausrat auf eine Reise mitnehmen, was ihm auf die Dauer wirtschaftliches Wachstum bescherte und ihm damit auch gesteigertes Ansehen in der Gemeinschaft gebracht haben dürfte. Der Bau eines Wagens – vor allem der Räder – erforderte spezielles Know-how. Außerdem war Holz in der Steppe Mangelware.
Runde Scheiben mittels Achsen unter eine Ladefläche zu montieren und all das von Tieren ziehen zu lassen, lässt sich erst seit der Zeit um 5500 v. h. zeitgleich an mehreren weit voneinander entfernt liegenden Regionen Europas und Vorderasiens (Mesopotamien) nachweisen. Wahrscheinlich ist trotzdem ein äußerst rascher Wissenstransfer von einem einzigen Ursprungsort aus. Vermutlich ging die Neuerung auf bereits vorhandene Techniken zurück, die dann miteinander kombiniert und durch weitere Innovationen vollendet wurden. (Die ersten Wagen waren allerdings zunächst noch nicht zum Transport über längere Strecken geeignet.)
Die Jamnaja-Gefährte waren vierrädrige Planwagen, auf deren hölzernem Unterbau, zumindest häufig, ein vorne offenes, mützenartiges Zelt stand, wie Tonmodelle zeigen. Sie wurden von kräftigen Ochsen gezogen, noch nicht von Pferden. Ab 5000 v. h. wanderte ein Teil der Jamnaja-Halbnomaden aus den eurasischen Steppen nach Westen, zunächst entlang der Völkerstraße Donautal in Richtung Balkan. Ihre Hügelgräber tauchten im unteren Donautal auf. Man findet sie häufig in Bulgarien, aber auch in der Theiß-Ebene des heutigen Ungarn. Von dort breiteten sich die Gruppen weiter aus.
Die Schnurkeramiker
Es folgte einer der größten Umbrüche in der frühen europäischen Geschichte, dessen Spur sich bis in die Gegenwart zieht. Was damals genau passierte, ist immer noch ein Rätsel. Die Migranten vermischten sich wohl mit den jungsteinzeitlichen Bauern, die in Osteuropa ansässig waren. Aus den Einwanderern war in Europa um etwa 4800 v. h. die Kultur der Schnurkeramiker entstanden, benannt nach der typischen Verzierung ihrer Tongefäße (Keramikbehälter), nämlich charakteristischen Schnurmustern. Diese wurden dadurch erzeugt, dass mit einer Schnur Rillenmuster in den noch weichen Ton gedrückt wurden. Gleichzeitig mit dem Aufkommen dieser Muster verschwand die neolithische Keramik. Die Schurkeramiker waren zu rund 75% genetisch identisch mit den Jamnaja-Nomaden. Es handelte sich bei ihnen also um enge Verwandte, vielleicht waren die Schnurkeramiker eine nordöstliche Untergruppe der Jamnaja-Kultur.
Die Schnurkeramiker zogen mit Wagen, Pferden und großen Viehherden weiter nach Westen, bis nach Mittel- und Westeuropa. Um 4700 v. h. sickerten sie in Mitteldeutschland ein, um 4500 v. h. ließen sie sich auch an den Schweizer Seen in Pfahlbausiedlungen nieder. Von Zentralrussland im Osten bis Frankreich im Westen, von der Schweiz im Süden bis Skandinavien im Norden lebten jetzt Menschen, die ihre Keramik mit Schnurmotiven verzierten.
Nach den genetischen Daten hatten die einwandernden Gruppen etwa 80% der lokalen Bauern-Bevölkerung verdrängt – in Mitteleuropa um 70%, später auf den Britischen Inseln sogar über 90%. Vor allem traf ihre Ankunft die Männer und ihr Erbgut. Während die genetische Komponente der Neuankömmlinge (Schurkeramiker-DNA oder ANE / „Ancient North Eurasians“) in der Mitochondrien-DNA, welche die genetische Geschichte der weiblichen Linie einer Bevölkerung wiedergibt, weniger deutlich zu sehen ist, ist sie im männlichen Y-Chromosom sehr stark vorhanden. Ein großer Teil heutiger Mitteleuropäer trägt ein Y-Chromosom, das zum großen Teil von diesen Einwanderern stammt. Man geht daher davon aus, dass auf jede einwandernde Frau damals fünf bis vierzehn Männer kamen.
Expansionen von Nomadenvölkern werden häufig vor allem von Männern getragen. Sie holen sich die Frauen aus den Regionen, die sie durchwandern. Die in Europa eingedrungenen Halbnomaden waren sicherlich fähige Krieger; sie besaßen schon Streitäxte – und haben wohl auch einheimische Männer getötet. Ein Grab beim heutigen Koszyce (Polen), wo die Opfer eines Massakers – Mitglieder der Kugelamphoren-Kultur – bestattet waren, zeigt, dass es bei der Einwanderung nicht immer friedlich zuging. Aber es gibt nirgends in Europa Spuren, die auf größere kriegerische Konflikte oder systematische Tötungen hinweisen. Neueste genetische Studien zeigen sogar, dass zumindest regional Einheimische und Einwanderer fast 1000 Jahre nebeneinander lebten. Daher gilt es heute als sicher, dass die Neuankömmlinge trotz ihrer militärischen Überlegenheit nicht die männlichen Bewohner der eroberten Gebiete umgebracht haben. Für möglich halten manche z. B. eine dominante Fruchtbarkeit der Neuankömmlinge.
Die erste Pandemie der Geschichte
Der Schlüssel für den Bevölkerungsaustausch könnte aber auch das erste Auftreten des Pesterregers in Europa gewesen sein, der sich damals auf dem ganzen Kontinent ausgebreitet hat. (Und wenn tatsächlich die Pest die Bevölkerung dezimiert hat, dann waren Männer aus irgendeinem Grund möglicherweise stärker durch das Bakterium gefährdet. Solche unterschiedlichen Anfälligkeiten gab und gibt es immer wieder, siehe auch die höhere Gefährdung von Männern durch Covid-19.)
Das Bakterium tauchte nach molekulargenetischen Berechnungen erstmals vor rund 5500 Jahren vermutlich in Zentralasien auf. Das ursprüngliche natürliche Reservoir des Erregers waren höchstwahrscheinlich Nagetiere in den pontisch-kaspischen Steppen, wo die Menschen der Jamnaja-Kultur zu Hause waren. Im Verdacht als Zwischenwirt stehen die Pferde, auf denen die Steppenbewohner tagtäglich unterwegs waren.
Die todbringenden Pestbakterien spalteten sich einst vom harmlosen Bakterium Yersinia pseudotuberculosis ab und wurden vor rund 30 000 Jahren in Nagern heimisch – bis sie vermutlich irgendwo in den eurasischen Steppenlandschaften von den Tieren auf den Menschen übersprangen. Aber erst mit dem vermehrten Kontakt zwischen Menschengruppen und dem engeren Zusammenleben mit domestizierten Tieren, die ein Erreger-Potenzial gebildet haben könnten, verbreiteten sie sich.
(Der frühe Pesterreger war ein Lungenpesterreger und besaß noch nicht die Gene für die Beulenpest, war aber noch gefährlicher als diese. Während manche Infizierte mit leichten Erkältungssymptomen davonkamen und anschließend lebenslang immun gegen den Erreger waren, konnte das Bakterium über Fieber, Hustenanfälle, blutigen Auswurf und Lungenversagen anderen den Tod bringen. Erst im Laufe der Jahrtausende hat das Bakterium seine genetische Ausstattung verändert und verursachte ab 3800 v. h. die Beulenpest, die erstmals in der russischen Region Samara nachgewiesen wurde.)
Es könnte also sein, dass ein heftiger Pestausbruch in ihrer Heimat viele Jamnaja dazu brachte, aus ihrer Heimat, den Steppen nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meeres, Richtung Westen (aber auch Richtung Osten) zu ziehen. Sie nahmen dabei nicht nur ihr Vieh mit, sondern auch den Pesterreger. Bei einigen Toten der Migranten wurde eine frühe Form des Pestbakteriums nachgewiesen. Da die Halbnomaden wohl seit jeher mit dem Pesterreger lebten, hatten sie aber möglicherweise eine höhere Immunität, als sie in kleinen mobilen Gruppen mit ihren Pferden und Wagen in Europa ankamen. Die einheimischen Bauern hatten den todbringenden Bakterien dagegen nichts entgegenzusetzen.
Es ist nachgewiesen, dass zu jener Zeit an der westlichen Schwarzmeerküste die Zivilisation zusammenbrach und große Siedlungen plötzlich verschwanden. Jedenfalls breitete sich die Krankheit fortan über ganz Europa aus – die erste Pandemie der Menschheitsgeschichte! (Die Forscher wiesen inzwischen das Pest-Bakterium für die Bronzezeit – 4200 bis 2800 v. h. – vom Baikalsee bis zur Iberischen Halbinsel nach.)
Möglicherweise waren Pestepidemien den Einwanderern aus der Schwarzmeersteppe aber lediglich vorausgeeilt. Wir wissen, dass es bereits vor 5500 Jahren einen intensiven Ost-West-Austausch zwischen den Nomaden und Bauern gab. Sie handelten offenbar schon seit Jahrhunderten mit Gütern und Ideen. Über diese etablierten Netzwerke könnten dann womöglich wenige Infizierte den Erreger verbreitet haben.
In der Zeit von 5500 bis 4800 v. h. zerfielen jedenfalls in Europa viele Gemeinschaften aus noch unbekannten Gründen. Die Bevölkerung schrumpfte rapide und zuvor kultivierte Landschaften wurden offenbar schlagartig menschenleer. Archäologen haben in genau diesem Zeitraum auch nur eine geringe Zahl von Skeletten gefunden und kaum Bestattungen dokumentieren können. Vielleicht haben die Menschen ihre Toten verbrannt, um so der Gefahr aus dem Weg zu gehen, die von den Leichen ausging; oder sie ließen die Körper einfach liegen, ohne sie zu bestatten. Nichts deutet dabei auf kriegerische Ereignisse oder gewaltsame Konflikte unter den neolithischen Bauern als Ursache hin.
(Das Pandemieszenario ist aber keineswegs das einzige mögliche Szenario, denn auch der Klimawandel könnte für schlechte Ernten und Hungersnöte bei den neolithischen Bauern geführt haben. Archäologische Nachweise für die Szenarien gibt es bisher nicht.)
Der dänische Archäologe Kristian Kristiansen sieht den Grund für die Auswanderung der Steppenbewohner in ihrer Kultur. Demnach erbte in der Gesellschaft der Jamnaja-Verbände jeweils der älteste Sohn den Besitz. Das habe alle anderen Männer dazu gezwungen, alternative Wege einzuschlagen. Über die alten Netzwerke hatten sie womöglich erfahren, dass es im Westen saftige Weiden ohne Siedler gebe. So habe sich ihnen die große Chance geboten, im entvölkerten Europa eine neue Existenz zu gründen und sich dort Frauen unter der einheimischen Bevölkerung zu suchen.
Die Kultur der Schnurkeramiker
In den Gebieten, in die sich die Schnurkeramiker ausbreiteten, veränderte sich das Leben auf jeden Fall drastisch. Ob der große Wandel allein durch die Zuwanderung oder auch durch den Austausch zwischen den verschiedenen Kulturen ausgelöst wurde, ist schwer zu klären. Mit den Einwanderern kamen jedenfalls Wagen, Rad sowie die Kupfer-Metallurgie nach Europa, dazu eine Kriegermentalität und sehr wahrscheinlich auch das domestizierte Pferd.
Lebensstil und Essgewohnheiten wandelten sich: Zuvor hatten die neolithischen Bauern in Dörfern gelebt und auf gemeinschaftlich bewirtschafteten Feldern vorwiegend Einkorn und Emmer angebaut. Nun wohnten die Menschen auf Gehöften und in Weilern. Kristiansen spricht von einer „sehr individualistischen Kultur, die um Kernfamilien organisiert“ sei. (Die verringerte Siedlungsgröße könnte eine Reaktion auf die Pesterfahrungen gewesen sein, denn gerade das enge Zusammenleben in Dörfern hätte den Ausbruch einer Epidemie begünstigt.) Die Bauern züchteten vermehrt Rinder und aßen mehr Fleisch, Milch und Käse. (Mit den Einwanderern hatte sich auch die Fähigkeit, den Milchzucker Laktose abzubauen, verbreitet.)
Einzelbestattungen unter Hügeln waren jetzt üblich. Der Verstorbene wurde nach strengem Ritus in Seitenhocklage mit dem Gesicht nach Süden begraben, doch betteten sie Frauen auf die linke und Männer auf die rechte Körperflanke. Männliche Verstorbene bekamen eine steinerne, geschliffene Streitaxt mit ins Grab. (Daher die synonyme Bezeichnung als ‚Streitaxt-Kultur‘.) Das Ideal für die Schnurkeramiker war der einzeln kämpfende Krieger.
Die Schnurkeramiker brachten aber auch Frühformen der indoeuropäischen Sprachen mit, aus denen sich im Laufe der folgenden Jahrtausende die slawischen, baltischen und germanischen Sprachen bildeten. Die alteuropäischen Sprachen aber – heute noch inselhaft vertreten z. B. im Baskischen (dem Euskara) und in den Kartwelischen Sprachen des Kaukasus – wichen auf breiter Front den neuen Idiomen. Fortan wurde in den meisten Dörfern Europas indoeuropäisch gesprochen.
Das Europäer-Genom
75% der Mitteleuropäer trugen nun Erbgut aus der Steppe in sich. 70% der jungsteinzeitlichen Gene verschwanden in dieser Zeit und wurden durch „Steppengene“ ersetzt. Innerhalb weniger Jahrhunderte dominierten Gen-Komponenten der Schurkeramiker vor allem das männliche Y-Gen. Von Nordindien bis ins Rheinland findet man diese Komponenten seit 4500 v. h. fast überall.
Den ältesten und genetisch am engsten verwandten Vorläufer der Schnurkeramiker-Komponente auf dem Y-Chromosom fand man bei einem Jungen, der vor 24 000 Jahren nördlich des Baikal-Sees in Zentralsibirien bestattet wurde. Ein weiterer Skelettfund am Jenissei, 17 000 Jahre alt, enthält ebenfalls diesen ANE-Anteil. (Die ANE-Sibirier zwischen Baikalsee und Jenissei haben aber nicht nur zum Erbgut der Europäer beigetragen, sondern auch zu dem der nordamerikanischen Indianer. Diese genetische Komponente ist sogar zuerst im Genom der Eingeborenen Nordamerikas aufgespürt worden. Die Schnurkeramiker-Welle spülte die Sibirier-Gene dann vor 5000 Jahren flächendeckend nach Europa.)
Die Gene der Schnurkeramiker machen heute rund 10% des Gesamtgenoms im europaweiten Durchschnitt aus. Über das Y-Chromosom aber sind die europäischen Völker viel enger verwandt , als es die Anteile von 10 oder 20% des Gesamt-Genoms vermuten lassen. Manche dieser Y-DNA-Komponenten finden sich sogar zu meist über 50% im männlichen Teil der europäischen Völker.
Doch die regionalen Unterschiede hinsichtlich der Schnurkeramiker-Gene sind beträchtlich. Bei Russen, Balten und Polen ist insgesamt der Anteil an Steppen-DNA im Genom am höchsten (20%). In Richtung Südwesten und Süden sinkt er graduell. Bei den Bewohnern Sardiniens, den Sarden, macht er nur noch wenige Prozent aus. Auch auf der Iberischen Halbinsel war der genetische Einfluss der Schnurkeramiker deutlich geringer als im übrigen Europa. Die Forschungs-Ergebnisse legen hier ein merkliches, aber bescheidenes Eindringen der Migranten nahe.
Küstenferne Sarden weisen den höchsten Anteil an DNA auf, der unmittelbar von den nahöstlichen Bauern stammt: rund 85%. Sie sind praktisch fast reine Nachkommen dieser jungsteinzeitlichen Menschen, die hier vor 7000 Jahren lebten. Auch die Basken sind womöglich Nachfolger der ersten Ackerbauern in Europa, die vor 8000 Jahren einwanderten und eben nicht indoeuropäisch sprachen. Auch sie tragen in sich noch deren genetische Spuren und besitzen kaum DNA der Schnurkeramiker, die offenbar das heutige Baskenland nicht so dicht besiedelten wie andere Regionen. Außerdem gab es über Hunderte von Jahren möglicherweise auch Gruppen in Alpentälern, die kaum Verbindung zu anderen Regionen und damit auch zu Schnurkeramikern hatten.
Die Europäer setzen sich also genetisch aus mindestens drei Gruppen zusammen: Den alteingesessenen Sammlern und Jägern, von denen die ersten vor spätestens 45 000 Jahren nach Europa kamen; den nahöstlichen Bauern, die vor 8000 bis 7500 Jahren aus Anatolien und Nordsyrien kamen und Ackerbau und Viehzucht nach Europa brachten; und den Schnurkeramikern, die auch eine markante Note im Erbgut der heutigen Europäer hinterließen.
Nach 4200 v. h. ist die Kultur der Schnurkeramiker archäologisch nicht mehr nachweisbar. In Mitteleuropa z. B. dominierten nun die Glockenbecher- und die Aunjetitzer-Kultur. Ob eingewanderte Bevölkerungsgruppen für die kulturellen Veränderungen verantwortlich waren oder die neuen Ideen im kulturellen Austausch weitergegeben wurden, ist derzeit noch nicht abschließend geklärt.
REM