Entstehung des Lebens (1)

Die Bausteine des Lebens

Die Basis des Lebens ist Chemie. Dabei spielt das Element Kohlenstoff (C) eine Schlüsselrolle. Ohne Kohlenstoff, das nach Wasserstoff, Helium und Sauerstoff häufigste Element im Universum, gibt es kein Leben auf der Erde. Erst seine Eigenart, lange Kettenmoleküle bilden zu können, machte die Verwandlung von Chemie in Biologie möglich. Wenn zum Kohlenstoff neben dem allgegenwärtigen Wasserstoff noch Stickstoff und Sauerstoff, die wie Kohlenstoff zu den häufigsten Produkten der Kernverschmelzung in Sternen zählen, zur Verfügung stehen, beruht jede komplexe Chemie im Universum in erster Linie auf diesen vier Elementen.

Wie aus chemischer Materie das Leben entstand und was erst den Anstoß zur Entwicklung des Lebens gab, wissen wir noch nicht genau. Sicher ist aber, dass vor dem Auftreten der ersten Zellen eine chemische Evolution stattgefunden haben muss, obwohl auch dafür noch ein direkter Beweis fehlt. Aber allein schon die Tatsache, dass die Bausteine des Lebens relativ leicht entstehen können, ist ein starker Hinweis darauf. Es war sehr wahrscheinlich ein gradueller und langwieriger, extrem komplexer chemischer Prozess, der zur Entstehung des Lebens führte. Eine ganze Reihe von Hypothesen und Modellen, die zum Teil erheblich voneinander abweichen, versuchen diesen Prozess zu erklären.

Entstehung organischer Moleküle im All

Die ersten massereichen Sterne im Universum, die nur aus Wasserstoff und Helium bestanden, fegten am Ende ihres kurzen kosmischen Lebens in gewaltigen Explosionen viele schwerere Elemente in das umgebende Gas, vor allem auch die für Leben wichtigen Kohlenstoff(C)-, Stickstoff(N)- und Sauerstoff(O)-Atome. Im Laufe der Zeit reicherten immer neue Sterne bei ihrem Tod das Universum mit immer mehr der schweren Atome an, so dass sie heute einen Anteil von 2% aller Atome ausmachen. Sie neigen dazu, Verbindungen einzugehen und feinen Staub zu bilden.

Bereits nach wenigen hundert Millionen Jahren gab es im interstellaren Gas ähnliche Anreicherungen von Kohlenmonoxid (CO) und Staub, wie wir sie heute noch, 13 Milliarden Jahre später, im interstellaren Gas der Milchstraße und benachbarter Galaxien vorfinden. Viele einfache Moleküle und sehr kleine Staubteilchen (Kohlenstoffkörner) lagerten sich in die Mäntel von interstellaren Eiskristallen (hauptsächlich aus gefrorenem Wasser und Kohlenmonoxid) ein.

Wir wissen, dass interstellare Wolken als chemische Fabriken arbeiten, obwohl sie zu den kältesten Orten im Universum – typische Temperaturwerte im Inneren der Wolken liegen bei -220°C bis zu 5 bis 15° über dem absoluten Nullpunkt von -273,15°C – gehören und um viele Größenordnungen weniger dicht sind als z. B. die Erdatmosphäre. Bei diesen Bedingungen ist eine ungewöhnliche Art von gefrorenem Wasser allgegenwärtig, das ganz andere Eigenschaften hat als das uns bekannte Wassereis. Es verwandelt sich nämlich etwa zwischen -137°C und -148°C und hohem Druck in eine viskose Flüssigkeit. Noch bei einer Temperatur knapp über dem absoluten Nullpunkt kann es fließen, wenn es mit ultraviolettem Licht bestrahlt wird, das überall im Universum vorkommt.

Die intensive Weltraumstrahlung bricht einfache Moleküle zunächst in hochfrequente Fragmente, so genannte Radikale auseinander, die zwischen den unregelmäßig zusammengezwängten Wassermolekülen im interstellaren Eis umherwandern können. Minimale Änderungen in der Struktur des Eises ergeben dann den Anstoß für den Zusammenschluss der Radikale zu organischen Verbindungen (wobei möglicherweise auch Quantentunneleffekte beteiligt sind).

Normalerweise würden neu entstandene Moleküle, z. B. Silikate (Siliziumverbindungen) oder Oxide (Sauerstoffverbindungen), gleich nach ihrer Bildung von der zerstörerischen Strahlung des Weltraums wieder gespalten. Im frostigen Mantel von gefrorenen Gasen eingeschlossen, bleiben sie aber vor der Zerstörung bewahrt und können durch wiederholtes Aufbrechen und Neuknüpfen von Bindungen immer komplexere Strukturen schaffen. Das Eis speichert diese Substanzen auch dann noch, wenn es erwärmt wird. Während der typischen Lebenszeit eines Eisteilchens von fünf Milliarden Jahren wird der Zyklus mit Aufbau und Abbau von Molekülen ungefähr 50mal durchlaufen – bis das Teilchen entweder bei der Bildung eines neuen Sterns vernichtet oder aber Bestandteil eines Himmelskörpers, z. B. eines Kometen, wird.

Eis- und Staubteilchen spielten also vermutlich bei den molekularen Entstehungsprozessen eine wichtige Rolle. Überall im Weltraum, wo es Eiskörnchen gibt, finden sich komplexere Verbindungen, von denen die meisten Kohlenstoff enthalten. Das erste interstellare Molekül, das 1937 im Universum nachgewiesen wurde, war CH, ein an ein Wasserstoff-Atom gebundenes Kohlenstoffatom. Dieses sog. Methin-Radikal kommt auf der Erde als Bestandteil von Kohlenwasserstoffen nur fest eingebaut vor. Schon in den vierziger Jahren wurden in einigen interstellaren Wolken unserer Milchstraße auch Zyan (CN) und das Hydroxyl-Radikal OH entdeckt. Da sie in der Regel nicht eigenständig existieren, müssen sie Reste auseinander gebrochener Molekülverbindungen sein, z. B. von Cyanwasserstoff (Blausäure, HCN) oder Wasser (H2O), die durch energiereiche Strahlung gespalten wurden.

Mittlerweile hat man im interstellaren Medium und in der Umgebung von Sternen unserer Milchstraße viele Milliarden Tonnen organischen Materials aufgespürt. Über 180 unterschiedliche interstellare Moleküle wurden bereits identifiziert, darunter viele Verbindungen, die sich im Labor als mögliche Reaktionspartner bei der Synthese präbiotischer Moleküle erwiesen haben, darunter Ammoniak (NH3), Methan (CH4), Formaldehyd (H2CO), Ethin (Acetylen; H2C2) und Essigsäure (C2H4O2).

Überall im Weltraum spüren Astronomen auch alle möglichen relativ komplexen Moleküle auf, wie z. B. Vinylalkohol (C2H4O), ein Vorläufer von Lebensbausteinen, aber auch die einfachste Aminosäure Glycin (NH4C2O2), die aus Formaldehyd, Ammoniak und Zyanwasserstoff entstehen kann. Es gibt Hinweise auf gesättigte Nitrile, die mit Wasser zu Fettsäuren reagieren. Auch Gycoaldehyd (CO-CH2-CHO), ein einfacher Zucker, der zur Entstehung der Nukleinsäure RNA (Ribonukleinsäure) nötig ist, und auch Phosphor, ein weiteres Schlüsselelement in Lebewesen, ließen sich nachweisen.

Meteoriten und Kometen

In protoplanetaren Scheiben, Orten potenzieller Planetenentstehung, kommen organische Stoffe, darunter die Vorläufer komplexer organischer Chemie, in großer Menge vor. Also ist es nicht verwunderlich, dass wir diese auch in den Atmosphären und Oberflächen von Planeten und Monden unseres Sonnensystems sowie auf unzähligen kleinen Himmelskörpern finden. Kometen, Asteroiden und Sternenstaub bestehen im Durchschnitt zu 10%, einige sogar bis zur Hälfte, aus organischen Kohlenstoffverbindungen, die insgesamt einen vollständigen Satz von Vorläufern aller wichtigen Biomoleküle bilden. Noch komplizierter aufgebaute organische Stoffe ließen sich in bestimmten Steinmeteoriten, den Kohligen Chondriten (wahrscheinlich Bruchstücke von Objekten des Asteroidengürtels), nachweisen, darunter auch Aminosäuren, aber auch Phosphate und Nukleobasen, alles Bestandteile von für das Leben wichtigen Makromolekülen.

Tausende dieser Lebensbausteine fallen heute durch Meteoriten und interplanetaren Staub auf die Erde. In der Frühgeschichte unseres Sonnensystems gab es wahrscheinlich mehr von diesem Niederschlag, der außer Wassereis und gefrorenen Gasen ausreichende Mengen der wichtigen Ausgangsstoffe zur Lebensentstehung lieferte, so dass nur noch ein energiereicher Anstoß für den Beginn der entscheidenden lebensspendenden Reaktionen genügte. Bei der großen Zahl der zur Erde gefallenen Teilchen geschah dies wohl zwangsläufig.

Die Frage steht aber im Raum, inwieweit komplexere organische Verbindungen die Hitze und den Druck beim Eintritt in die Atmosphäre und beim Einschlag auf der Erdoberfläche überhaupt überstehen konnten. Kometen beispielsweise zerplatzen und verglühen großenteils, wenn sie mit Überschallgeschwindigkeit in die Atmosphäre eintreten. Dafür, dass sich die organischen Substanzen dabei und in der Hitze des Aufpralls auf der Erde nicht zersetzen, könnte die Flockigkeit der Kometenkörper die Schlüsselrolle gespielt haben, zusammen mit einer Erdatmosphäre, die damals etwa um das Zwanzigfache dichter war als unsere heutige Lufthülle aus Stickstoff und Sauerstoff. Traf nun ein flockiger Kometenkern diese dichte Gashülle, konnte er während seines kurzen Fluges einen gewissen Anteil seiner äußeren Schichten abreiben, bevor der Großteil des Kometenkerns abgebremst den Erdboden traf. Möglicherweise erreichten damals auch kleinere Kometen die Erdoberfläche fast unbeschädigt.

Dass es in der Frühphase der Erde bereits ein breites Spektrum an organischen Molekülen auf dem Planeten gab, lässt sich noch heute belegen. Es ist freilich noch nicht bewiesen, dass die präbiotische und biologische Evolution auf der Erde tatsächlich durch organisches Material aus dem Sonnennebel in Gang gesetzt wurde.

Entstehung organischer Moleküle auf der Erde

Experimente zeigen, dass sich die chemischen Grundsubstanzen des Lebens auf der Erde unter verschiedenen Bedingungen bilden konnten. Dazu musste nur hinreichend konzentriert Energie zugeführt werden, sei es durch elektrische Entladungen, ultraviolette und kosmische Strahlung oder Wärme aus dem Erdinnern (Vulkanismus, heiße Quellen, radioaktive Strahlung). Mit ihrer Hilfe dürfte eine Abfolge chemischer Umwandlungen die einfachsten Bestandteile von Luft, Wasser und Erde zu Ansammlungen einfacher kohlenstoffhaltiger Moleküle umgeformt haben.

Die Ursuppen-Theorien (basierend auf dem berühmten Miller-Urey-Experiment) erklären, dass sich organische Moleküle durch elektrische Entladungen in der Atmosphäre bildeten und auf der Erde zu einer „Ursuppe“ anreicherten. Allerdings scheint dies nach neuesten Erkenntnissen nur schwer realisierbar gewesen zu sein, da die dazu notwendigen Gase in der Uratmosphäre nicht in ausreichendem Maße vorhanden waren.

Die frühe Erdatmosphäre bestand, wie wir heute wissen, hauptsächlich aus Kohlendioxid, Wasser und Stickstoff. Gase wie Methan, Wasserstoff und Ammoniak tauchten nicht oder nur in geringen Mengen auf. Wiederholt man Millers Versuche mit den Konzentrationen, die Geologen jetzt für wahrscheinlich halten, so ist die Ausbeute an organischen Stoffen nur sehr gering. Die Erdatmosphäre war also nie in dem Maße reduzierend, wie Urey und Miller angenommen hatten. Von Anfang an müssen auch Sauerstoffanteile (erzeugt durch Fotodissoziation von Wasser) in ihr vorgekommen sein.

Meteoritenkrater sollen dagegen im wahrsten Sinne des Wortes heiße Kandidaten für jene Orte gewesen sein, an denen die ersten komplexeren chemischen Abläufe möglich waren. Der Boden solcher Impaktstrukturen bestand aus heißem, zertrümmertem Gestein, in denen sich Hydrothermalsysteme bildeten, die Energie zum Zusammenbau der präbiotischen Moleküle lieferten.

Vulkaninseln auf der frühen Erde waren extremen Einflüssen wie Säuredämpfen und wechselnden Trocken- und Nassphasen, erzeugt durch Ebbe und Flut oder Lavaströme, ausgesetzt. Auch das waren geeignete chemische und energetische Randbedingungen für die Bildung komplexer Moleküle und Reaktionsnetzwerken. Die Vulkangase enthielten Kohlenmonoxid und -dioxid, Schwefeldioxid und sogar molekularen Wasserstoff, der für universelle Vorgänge zur Energiegewinnung eine herausragende Rolle spielt.* Es gab Temperaturgradienten sowie elektrische Entladungen, was sehr vorteilhaft für eine präbiotische chemische Evolution war.

*[Der Wasserstoff ist gleichsam der Kraftstoff, der die anderen Vorläufermoleküle in Verbindungen mit höherem Energiegehalt und Ordnungsgrad verwandelt. Wasserstoffelektronen reduzieren beispielsweise den Kohlenstoff im CO2-Molekül und treiben so die Synthese komplexer organischer Moleküle an. Dabei entstehen einfache Verbindungen, u. a. Methan, Essigsäure und Ameisensäure (CH2O2). Die bei diesen Reaktionen frei werdende Energie ermöglichte den Zusammenbau weiterer Verbindungen.]

Auch Geothermalfelder mit ihren heißen Quellen und Geysiren gelten neuerdings als mögliche Brutstätten des Lebens. Vielleicht haben sich dort in den Hydrothermalbecken Moleküle aus dem All und organische Verbindungen aus der Vulkanlandschaft angehäuft. Die heißen Schlote lieferten zudem selbst ein organisches Gebräu mit weiteren Grundstoffen für die Biosynthese. Die Quellen unterschieden sich alle leicht hinsichtlich pH-Wert, Temperatur, gelöster Ionen und anderer Parameter, waren chemisch also äußerst komplex. Die mehrmals täglichen Nass-Trocken-Wechsel, die unterschiedliche Zusammensetzung der Quellen, reaktive Grenzflächen, der Austausch von Molekülen, wenn Geysire Wasser ausspeien und wieder ansaugen, sowie ein unterirdisches Netzwerk fluidhaltiger Spalten und Risse schufen problemlos die Voraussetzungen für eine chemische Entwicklung.

Entstehung von organischen Molekülen in der Erdkruste

Die chaotischen, dauernd wechselnden Bedingungen unter einer dunstigen, smogvernebelten Atmosphäre in der Frühzeit der Erde, dazu heftige Gewitter und Meteoriteneinschläge, das damals viel intensivere UV-Licht und kosmische Strahlung, bedeuteten für empfindliche kohlenstoffhaltige Moleküle ohne ausreichenden Schutz ein hohes Risiko. Möglicherweise haben diese sich in den vielen kleinen Behältern in bestimmten Gesteine angesammelt. Der vulkanische graue Bimsstein etwa enthält unzählige Hohlräume, die durch Expansion von Gasen im noch zähflüssigen Gestein entstanden sind.

Doch andere Forscher sehen wegen den Schwierigkeiten an der Erdoberfläche die ersten evolutiven Schritte zur Lebensentstehung eher im Innern der Erdkruste, nämlich in feuchtwarmen Poren des Gesteins, wo die Bedingungen wahrscheinlich günstiger waren.

Schon vor Jahrmilliarden durchzogen viele Bruchzonen, die aufgrund von tektonischen Prozessen entstanden waren, die komplette Erdkruste bis zum Erdmantel. In ihnen zirkulierten Fluide (Flüssigkeiten und Gase) mit einer Menge gelöster Stoffe. In der Tiefe, bei hohen Drücken und Temperaturen, bestanden die Fluide höchstwahrscheinlich, ebenso wie heute, aus einer Mischung von überkritischem Wasser und überkritischer Gase. Im überkritischen Zustand lassen sich die flüssige und die gasförmige Phase eines Stoffes nicht mehr voneinander unterscheiden, weil sich ihre Dichten einander angleichen und die Verdampfungswärme gegen Null geht. Es handelt sich dann also um eine Flüssigkeit mit den Eigenschaften eines Gases bzw. um ein Gas, das sich wie eine Flüssigkeit verhält. Überkritisches Wasser ist noch bei weit über 100°C flüssig und kann somit sehr viele gelöste Gase und Minerale enthalten, überkritische Gase sind in der Lage, wie Flüssigkeiten wasserunlösliche Verbindungen aufzunehmen und zu transportieren.

Bis auf mehrere Kilometer haben wir in den Störzonen der Erde eine Abfolge von unterschiedlichen Druck- und Temperaturverhältnissen, und auch der pH-Wert ändert sich je nach Tiefe. Steigen die Fluide mit Molekülen, die sich unter hohen Drücken und Temperaturen gebildet haben, entlang der verzweigten Spalten der Bruchzonen nach oben, können sie sich unter Vorsprüngen und in zahllosen Kammern mit einer Größe zwischen wenigen Mikrometern bis in den Meterbereich ansammeln. Hier sind chemische Reaktionen möglich, die im Wasser allein und an der Erdoberfläche nicht stattfinden konnten. Wiederkehrende Druckschwankungen, etwa infolge oberirdischer Ausbrüche von Geysiren, könnten dafür gesorgt haben, dass CO2-Tröpfchen immer wieder unterkritisch wurden und in die Gasphase übergingen. Das entstandene CO2-Gas kann die aufgesammelten organischen Bestandteile nicht mehr gelöst halten. Die Substanzen fielen also aus und konzentrierten sich in der verbliebenen wässrigen Lösung und an den Grenzflächen von Wasser zu Gas. Hier konnten sich Moleküle auch zu komplexen Verbindungen zusammentun.

Experimente belegen, dass unter den geschilderten Bedingungen spontan sogar Lipidvesikel, Vorläufer der späteren Zellmembranen, entstehen, in denen sich organische Moleküle anreichern konnten. Aminosäuren verknüpfen sich in einer solchen Umgebung „von selbst“ zu Peptiden (kurzen Eiweißsträngen). Zudem wurde beobachtet, dass unter diesen hydrothermalen Bedingungen Bausteine von Nukleotiden – Nukleinbasen sowie die Zucker Ribose und Desoxyribose – entstehen können. Eine vollständige Nukleotidbildung konnte allerdings noch nicht nachgewiesen werden.

Die Ausdehnung der Bruchzonen, ihre langfristige Stabilität und die ständig ablaufenden Reaktionen in hydrothermaler Umgebung haben also wohl dafür gesorgt, dass in diesen Erdspalten sämtliche molekularen Ausgangsstoffe für eine präbiotische Evolution dauerhaft und im Überfluss zur Verfügung standen.

Entstehung organischer Moleküle an Schwarzen oder Weißen Rauchern

Auch der Meeresgrund war ein geschützter Ort, an dem der Prozess des Lebens entstehen konnte. Das Wasser wirkt hier als Schutz und als Filter zugleich gegen die energiereichen Strahlen der Sonne, die nicht mehr als 10 bis 20 Meter Tiefe erreichen. Auch hier waren in frühen Erdzeitaltern hydrothermale Quellen weit verbreitet. Noch heute schießt an den Schwarzen Rauchern (Black Smoker) mit Gasen angereichertes, heißes Wasser (350 bis 400°C) aus dem Erdinnern empor. Es enthält eine reiche Fracht an alkalischen Fluiden, die Wasserstoff, Sulfide und Ammoniak und alle möglichen metallischen Spurenelemente (z. B. Eisen, Nickel, Mangan, Kobalt und Zink) mitführen, eine hoch reaktive chemische Lösung. Beim Austritt ins kalte Meerwasser (im Durchschnitt 2 bis 4°C), das in der Frühzeit der offenbar noch saurer war als heute und reich an Kohlendioxid, trifft dann eine alkalische Lauge auf eine Säure, warmes auf kaltes Wasser, Wasserstoff auf Kohlendioxid. Durch diese physikalischen und chemischen Gegensätze ist reichlich Energie vorhanden, um Moleküle zu trennen und andere zusammenzubauen. So reagieren die Stoffe miteinander und verbinden sich neu z. B. zu Metall-Schwefelverbindungen (Metallsulfiden), die die typische rauchige Färbung der Smoker verursachen. Die entstandenen Partikel lagern sich um die Quellen herum ab und türmen sich zu meterhohen Schloten auf – Bergen aus Karbonaten, Kieselerde, Tonen und Eisensulfiden.

Vor allem das pH-Gefälle zwischen saurem Meerwasser und alkalischem Thermalwasser ließ sich energetisch nutzen. So könnten auch chemische Lebensbausteine entstanden sein, die allerdings normalerweise im Wasser rasch verdünnt und auseinander getrieben würden. Doch gibt es an den Schlotwänden Millionen winziger Poren, deren Eisensulfidhüllen als anorganische (mineralische) Membranen fungiert und so die beiden gegensätzlichen Milieus getrennt haben könnten.

Allerdings dürften auch die hohen Temperaturen von bis zu 400°C komplexere Moleküle sofort wieder zerstört haben. Daher bevorzugen die Forscher heute eher die Weißen Raucher als möglichen Ursprungsort für Lebensbausteine. Ihre weißen Kalksteintürme ragen an manchen Stellen des Meeresbodens wie Stalagmiten in einer Tropfsteinhöhle empor. Anders als die Black Smoker wird die Quelle hier nicht durch vulkanische Hitze angetrieben, sondern durch chemische Reaktionen im Mereresgrund. Daher haben ihre ebenfalls mineralreichen, stark alkalischen Lösungen, die aus ihr herausquellen (überwiegend Bariumsulfat/BaSO4 und Siliziumdioxid/SiO2) eine konstant niedrigere Temperatur um ca. 90°C (evt. bis maximal 350°C).

Die Theorie geht davon aus, dass sich in der Frühzeit der Erde, als die gewaltigen Meteoriteneinschläge aus dem All allmählich nachließen, sich in den Metallsulfidbläschen der Schlotwände stetig neue Moleküle ansammelten, in einer viel höheren Konzentration, als an irgendwelchen metergroßen Tümpeln an Land möglich war. Die Eisensulfidhüllen haben wohl als Katalysatoren (Reaktionsbeschleuniger) gewirkt, sich dabei aber selbst nicht verändert.* Gleichzeitig verhinderten sie, dass die entstandenen organischen Moleküle wieder ins Meer verschwanden. So sorgten sie für eine hohe Konzentration dieser Substanzen, die miteinander kollidierten und sich teilweise verbanden, zunächst zu kurzen Kohlenstoffketten und dann zu immer komplexeren Molekülen. Sobald der Bioreaktor im Innern der Eisensulfidbläschen erste einmal in Gang gekommen war, produzierte er eine kaum überschaubare Vielfalt von Substanzen, u. a. Zucker, Nukleinbasen und Aminosäuren.

*Einige Mikroben verwenden heute noch Eisen-Schwefel-Verbindungen als aktives Zentrum von Enzymen, mit denen sie Wasser spalten. Die ersten einfachen biochemischen Reaktionen verliefen also analog zu natürlichen geochemischen Prozessen – sie haben sozusagen „mineralische Wurzeln“.

Wenn man den Hauptaugenmerk auf Energie und Thermodynamik legt, also auf den Antrieb und die Geschwindigkeit bestimmter chemischer Reaktionen, kommt man zu dem Schluss: Unter den Bedingungen, wie sie im Urozean an diesen heißen Quellen herrschten, war die Entstehung organischer Substanzen und einfacher biochemischer Abläufe geradezu programmiert. Für diese Hypothese spricht auch, dass sie eine Erklärung dafür bietet, dass sich einst die genau richtige Kombination aller Bestandteile für eine Zelle von allein zusammengeschlossen hat.

Polymerisation

Wir haben also eine grobe Vorstellung der möglichen Abläufe, wie die Lebensbausteine wie z. B. Aminosäuren, Nukleinbasen, Zucker und lösliche Phosphate entstehen konnten. Aber erst als sich diese einfachen Ausgangsstoffe (Monomere) durch vielfach wiederholende, gleichschrittige Reaktionsfolgen zu so genannten Polymerketten und Molekülanordnungen verbanden, schufen sie die Voraussetzung für Leben. So mussten sich Aminosäuren zu Peptiden und weiter zu Proteinen (Eiweißen) verbinden, und Nukleobasen mit Zucker und Phosphat kombinieren, um Nukleinsäuren zu bilden.

In den Eisensulfidbläschen der Raucher war die Bildung von größeren Moleküleinheiten und längerer Molekülketten gut möglich. Hier vermochten sich wohl leicht mehrere Aminosäuren zu Peptiden zu verbinden, die sich wiederum zu langkettigen Proteinen zusammenschließen konnten. Allerdings haben Forscher diese Schritte im Experiment noch nicht nachvollzogen.

Im überkritischen Gas in den Bruchzonen der Erde konnten durch zyklische Druckänderungen auch immer wieder Peptide entstehen. Für die Bildung von Nukleinsäuren lagen in den Erdspalten die pH-Werte sogar im Optimum. Zugleich variierten die Temperaturen in einem Bereich, der das wiederholte Kopieren von Nukleinsäuresträngen ermöglichte. Zusätzlich standen Stoffe zur Verfügung, die diese Moleküle nachweislich stabilisierten, etwa Bor und Magnesium.

Zu einer raschen Polymerisation einfacher Moleküle konnten auch Nass-Trocken-Zyklen an Kleingewässern oder Gezeitenbecken beitragen. Allerdings musste das Kombinieren kleinerer Moleküle zu komplexen, ausgedehnten Strukturen an der Erdoberfläche unter den rauen Bedingungen der Früherde besonders schwierig gewesen sein. Selbst eine ideale Kombination chemischer Lebensbausteine würden in einem Ozean rasch verdünnt und auseinandergetrieben (Hydrolyse). Eine rein zufällige Reaktion organischer Moleküle in wässrigen Lösungen neigt außerdem dazu, unbrauchbare, teerartige Massen hervorzubringen.

Wissenschaftler haben aber beobachtet, dass sich im Süßwasser aus organischen Bestandteilen spontan winzige (Lipid-) Membranbläschen bilden. In diesen relativ stabilen Strukturen konnten, begünstigt durch engen Kontakt sowie Wärme und Energie aus heißen Quellen, einfache Moleküle zu langen Ketten polymerisieren. Diese komplexen organischen Verbindungen wären hier vor Zerfall sicher und in ihrer weiteren Entwicklung geschützt. Die Konzentration komplexerer Moleküle war schließlich so hoch, dass auch eine noch so große Menge Wasser den Polymerisationsprozess nicht mehr umzukehren vermochte.

Minerale

Die Oberflächen von Mineralen könnten eine interessante Alternative für den Zusammenbau wichtiger organischer Moleküle bieten. Hier ist die Wahrscheinlichkeit für die Bildung von komplexen Biomolekülen um ein Vielfaches höher als in einer homogenen Flüssigkeit. Minerale könnten als Behälter, Gerüste, Schablonen, Katalysatoren und Reaktionspartner fungiert haben. So entwickeln einige Minerale wie Zeolith (ein Vulkanmineral) und Feldspat (ein Silikatmineral) durch Verwittern mikroskopisch kleine Vertiefungen. In solchen Zwischenräumen, Poren und Kanälchen sehen Forscher ideale Umgebungen, in denen sich organische Moleküle sammeln und stabilisieren konnten – und wo sie zudem vor fotochemischer Zerstörung sicher waren.

Die flachen Oberflächen von Tonen sind oft elektrisch geladen. Dadurch können sie organische Moleküle anziehen und festhalten. Tone vermochten so das Gerüst zu bilden, auf dem sich Moleküle zusammenfügen und wachsen konnten. Auch an die glänzende Oberfläche von Pyrit (Eisenschwefelerz, FeS2)* heften sich Moleküle – selbst dann noch, wenn sie kochend heiß wird.

*Pyrit entsteht, wenn Eisensulfid (FeS) und Schwefelwasserstoff (H2S), die neben einer Fülle anderer Stoffe und gelöster Metalle im austretenden Wasser an hydrothermalen Quellen enthalten sind, miteinander reagieren, wobei Wasserstoff und Energie frei werden.

Hatten sich organische Moleküle erst einmal an ein mineralisches Gerüst geheftet, wurden sie im Laufe der Zeit immer stärker konzentriert, beispielsweise durch wiederholte Verdunstungszyklen. Damit wurde auch die Wahrscheinlichkeit von Polymerisations-reaktionen erheblich größer, als sie es in einer wässrigen Lösung gewesen wäre. Umgekehrt sank die Wahrscheinlichkeit einer Hydrolyse bereits gebildeter Polymere, da sie von gleichartigen Molekülen umgeben waren und das Wasser so aus der direkten Umgebung ferngehalten wurde.

Die mineralischen Teilchen wirken also nicht nur als passive Fallen. Die aus ihnen gebildeten großen, spezifischen Oberflächen scheinen auch für katalytische Zwecke prädestiniert zu sein. Aufgrund ihrer Vielfältigkeit, Komplexität und der Fähigkeit, sich durch Wachstum zu „vermehren“, waren Mineralkristalle demnach ideale Schrittmacher für eine organische Entwicklung. Da die kristalline Gitterstruktur der Minerale sowie ihre Ladungsverteilung ähnlich der Erbinformation (in lebenden Zellen) gespeichert sind und im Laufe des Kristallwachstums weitergegeben werden, könnten sie auch die Bildung erster Informationsträger begünstigt haben.

Die Konzentrations- und Steuerungswirkungen von Mineralen haben somit den Lauf der chemischen Evolution tief beeinflusst. Ohne sie wären entscheidende Reaktionen wohl nicht möglich gewesen. Irgendeine Form mineralischer Katalysatoren war an den grundlegenden chemischen Reaktionen, aus denen das Leben hervorging, aktiv beteiligt – das ist sicher. Aus dem organischen Film auf der Mineraloberfläche hat sich so Leben in einem autokatalytischen (sich selbst fördernden) Prozess entwickeln können. Bis heute hat man solche Abläufe allerdings noch nicht beobachtet. Es bleiben noch einige offene Fragen.

Fazit

Die frühen Stufen der chemischen Evolution sind insgesamt gut verstanden. Wo immer Leben auch genau begonnen hat, musste es zunächst fünf Stufen durchlaufen:

1. Die Synthese organischer Moleküle

2. Selektion, Anreicherung und Konzentration dieser Moleküle in einem wässrigen Milieu

3. Abgrenzung vom umgebenden Medium

4. Katalytisch verstärkte und gerichtete Reaktionen zwischen den Molekülen

5. Bildung von Molekülketten (Polymerisation)

Es steht heute fest, dass die „Moleküle des Lebens“ im Überfluss produziert wurden – überall im Weltraum und schließlich auch auf unserem Planeten – am Meeresgrund, in Bruchzonen der Erdkruste und auf Geothermalfeldern bzw. Vulkaninseln an der Erdoberfläche. Unter dieser Voraussetzung erfolgte der Weg zum Leben letztlich zwangsläufig in einer Abfolge unspektakulärer Vorgänge, von denen jeder ein wenig Ordnung und zusätzliche Komplexität in die Welt der präbiotischen Moleküle brachte. Es klafft aber noch eine gewaltige Lücke zwischen den größten Molekülen und den entscheidenden Lebensvorgängen wie Vererbung, Stoffwechsel und Selbstreplikation.

REM

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