Der Abstieg des Menschen

1. Die Geschichte des menschlichen Selbstbildes

„Ich bin, ich weiß nicht wer.

Ich komme, ich weiß nicht, woher.

Ich gehe, ich weiß nicht wohin.

Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.“

Angelus Silesius

Jahrtausende war die Geschichte des Menschen von Mythos und Religion verklärt. Es war die Beziehung zu den Göttern, die ihn heraushob aus den Niederungen der übrigen Welt. Der Mensch galt als gottähnlich und den Tieren nicht verwandt. Als Ebenbild Gottes war ihm der Platz auf der Erde zugewiesen, die nach der jüdisch-christlich-moslemischen Schöpfungslehre den Mittelpunkt des Kosmos darstellte. Diese Vorstellung von der Zentralstellung der Erde im Universum ging auf das naturwissenschaftliche Weltbild des griechischen Philosophen Aristoteles (384-322 v. Chr.) zurück: Die Erde im Mittelpunkt des Weltalls, umgeben von den Schalen der Gestirne.

Dieses geozentrische Weltbild wurde schließlich von Ptolemäus (100 bis 178 n. Chr.) in seinem berühmten Werk „He mathematike syntaxis“ („Die mathematische Sammlung“) begründet. In dem rein geometrischen Modell stand die Erde im Mittelpunkt, umgeben von einem gigantischen Konstrukt aus 55 himmlischen Äthersphären. Ptolemäus benötigte diese ineinander geschachtelten Hohlkugeln, um die verschlungenen Bahnen der Planeten allein auf Kreise zurückzuführen – denn nur Kreise und Kugeln schienen Gottes „vollkommener Schöpfung“ würdig.

Die Ideen von Ptolemäus wurden im Mittelalter zum unangreifbaren Dogma. Es bot einer Welt, die von Religion beherrscht wurde, Sicherheit, Bequemlichkeit und Rückhalt. Der Mensch galt als Mittelpunkt der Schöpfung und das Universum nur als ein blasser Abklatsch seiner Existenz; die Erde erschien als Kumulationspunkt, als Zentrum, in dem sich das relevante Geschehen der Welt abspielt. Bis ins 15. Jahrhundert hinein herrschte das geozentrische Weltbild des Ptolemäus unangefochten in den Gedanken der Menschen vor.

Es fiel schwer und kostete viele unschuldige Opfer, bis die Menschheit einsah, dass die Sonne und nicht die Erde Mittelpunkt des damals bekannten Kosmos – und damit, in der früheren Lesart, der Welt – ist. Vehement und hartnäckig hatten sich die Offenbarungsreligionen dagegen gewährt, weil die neuen Erkenntnisse dem in ihren Büchern beschriebenen Weltbild widersprach. Noch heute versuchen religiöse Fundamentalisten aller Couleur solche religiöse Aufzeichnungen wörtlich zu nehmen und ein schon lange überholtes Weltbild aufrechtzuerhalten bzw. wiederzubeleben, uneingedenk der Tatsache, dass diese Schriften von Menschen niedergeschrieben wurden, die nur im Rahmen des damals verbreiteten naturwissenschaftlichen Wissens ihre Schriften verfassen konnten.

Doch an den neuen Erkenntnissen führte schließlich kein Weg mehr vorbei. 1543 führte Nikolaus Kopernikus (1473-1543), Astronom und Domherr zu Frauenburg, einen ersten Streich gegen die mittlerweile über ein Dutzend Jahrhunderte währende behagliche Genügsamkeit. Er veröffentlichte in diesem Jahr „De revolutionibus orbium coelestium“ („Über die Umläufe der Himmelskörper“), worin er die Idee, dass alle Planeten einschließlich der Erde um eine ortsfeste Sonne kreisen, vortrug und begründete. Durch die sog. „Kopernikanische Revolution“ wurde das geozentrische vom heliozentrischen Weltbild abgelöst.

Allerdings war diese Idee nicht ganz neu. Im 15. Jahrhundert hatte Nikolaus von Kues (1401-1464) in seinem Buch „De docta ignorantia“ – „Von der wissenden Unwissenheit“ – schon kritisiert, dass der Mensch, wo er sich auch befand, sich immer im Mittelpunkt stehen sähe. In der Mitte des Alls aber stehe die Sonne, umkreist von den Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter und Saturn. Nur der Mond umkreise die Erde. Und selbst im alten Griechenland hatten schon einige Philosophen ein heliozentrisches Universum in Betracht gezogen.

Es begann die „kosmische Vertreibung“ der Erde aus dem Zentrum des Weltalls. Im Jahre 1609 bewies Johannes Kepler (1571-1630), dass alle Himmelsvorgänge erklärbaren, ursächlichen Gesetzen gehorchen – eine wissenschaftliche Revolution und der Beginn der Himmelsphysik. Galileo Galilei (1564-1641) konnte sogar mit neuartigen optischen Geräten, Teleskopen, sichtbar nachweisen, dass sich die Erde tatsächlich um die Sonne dreht. Der Platz der Erde war nun endgültig nicht mehr der Mittelpunkt des Universums. Die Erde war „nur noch“ ein ganz normaler Planet, der, wie alle anderen damals bekannten Planeten, die Sonne – die neue „Mitte der Welt“ – umkreist.

Vor einem Jahrhundert verlor schließlich für die Menschheit auch die Sonne ihre bevorzugte Stellung im Weltall, als die Astronomen allmählich erkannten, dass unser Heimatstern nur einer von Myriaden von Sternen ist und keineswegs in der Mitte , sondern in einem abgelegenen Teil des damals überblickbaren Kosmos, liegt – wie der amerikanische Astronom Harlow Shapley 1918 schließlich bewies. Sein Landsmann Edwin Hubble zeigte dann 1923, dass auch unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße, nicht das einzige Sternensystem im Weltraum ist, sondern nur eine Galaxie unter vielen – nach heutigem Wissen eine Welteninsel von über 100 Milliarden, in einem unvorstellbar großen Universum.

Erstaunlicherweise hatte schon der griechische Philosoph Epikur (341-271/270 v. Chr.) vor mehr als 2300 Jahren an einen Raum ohne Grenzen und an unendlich viele Welten, auch jenseits des beobachtbaren Universums, geglaubt – eine Vorstellung, für die der italienische Gelehrte Giordano Bruno (*1543) noch im Jahr 1600 sein Leben auf dem Scheiterhaufen der Inquisition lassen musste.

So zieht also unsere Erde nach unserem heutigen Wissen als ganz gewöhnlicher Planet in einem ganz gewöhnlichen System eines unbedeutenden G2-Sterns in einem durchschnittlichen Abschnitt einer ganz gewöhnlichen Spiralgalaxie ihre Bahn um die Sonne.

Damit rückte auch der Mensch immer weiter aus dem Zentrum der Welt heraus und verlor mehr und mehr seine einzigartige Stellung im Kosmos. Als Reaktion auf den Verlust der kosmischen Mitte wurde in der Folgezeit die Bedeutung des Menschen in und für die Natur verstärkt herausgestellt. Anknüpfend an eine lange philosophische Tradition betrachtete man ihn weit über allen anderen Lebewesen stehend – als etwas Besonderes, als „animal rationale“ oder Vernunftwesen. Selbst Rene Descartes (1596-1650) und Wilhelm Leibniz (1646-1716), die man dem „neuzeitlichen Rationalismus“ zuordnet, waren in ihrem Welt- und Menschenbild den Grundzügen nach noch im christlichen Mittelalter geerdet – obwohl auch damals schon (siehe auch unten) andere philosophische Auffassungen im Umlauf waren.

Für Descartes war der Mensch „aus Körper und Geist zusammengesetzt“, wobei es der denkende und sich seiner selbst bewusste, unteilbare immaterielle Geist sei, der den Menschen eigentlich ausmacht. Dieser vom Körper unabhängige, unsterbliche Geist verdanke seine Existenz direkt dem Wirken Gottes, weshalb Gott und Mensch enger verbunden seien als Welt und Mensch. Der Mensch gehöre also nicht so sehr zur Schöpfung als vielmehr zu seinem Schöpfer. Er ist nach Descartes als „denkendes Ding“ Krone und Mittelpunkt der Schöpfung – von der materiellen Welt, der Natur, nahezu abgetrennt durch eine unüberbrückbare Kluft; ein Ebenbild des Schöpfers.

Auch nach Leibniz verdankt der Geist – er nennt die geistige Substanz „Monade“ (von griechisch „monas“ = Einheit, Eins) – seine Existenz unmittelbar dem Wirken Gottes. Dazu benötigt er aber einen Körper. Gott habe von Anbeginn Körper und Seele so geschaffen, dass sie, während sie nur ihren eigenen Gesetzen folgen, doch mit dem jeweils anderen zusammenstimmten, als ob ein gegenseitiger Einfluss stattfinde. „Allein Gott ist vom Körper gänzlich befreit.“

[Die Philosophen La Mettrie (1709-1751) und d’Holbach (1723-1789), Vertreter des neuzeitlichen Materialismus, wurden die späteren Gegenspieler von Descartes und Leibniz und vertraten schon ein anderes Menschenbild. Sie ordneten den Menschen radikal in die Natur ein. Der Mensch war für sie ein vergänglicher Teil der Welt und denselben Gesetzen unterworfen wie alle übrigen Dinge. Beide vertraten schon die Auffassung, dass sich alles Geistige auf Körperliches zurückführen lasse. Die immaterielle Seele sei „ein Hirngespinst, … eine Gedankenbildung“ (d’Holbach). „Seele und Körper (sind) ein und dasselbe (…), betrachtet unter verschiedenen Gesichtspunkten“. (d’Holbach) In diesem Zusammenhang äußerten La Mettrie und d’Holbach bereits damals die Vermutung, dass der Mensch das Produkt eines natürlichen Entwicklungsprozesses sein könnte, „ein Ergebnis der besonderen Gesetze …, die den Erdball leiten“. (d’Holbach)]

Aus der im Mittelalter entwickelten Vorstellung von der Stufenleiter des Seienden entwickelte sich im 18. Jahrhundert die Idee weiter, nach der der Mensch nicht nur als eine Stufe über allen anderen Lebewesen stehend, ausgestattet mit einer unsterblichen Seele, sondern auch als Ziel der Schöpfung anzusehen sei. Die Harmonie der Bewegung der Himmelskörper setze sich fort in der auf den Menschen ausgerichteten Harmonie der Natur, die in der Existenz und im Handeln des Menschen ihr Ziel findet.

So beschrieb z. B. Georg Wilhelm Hegel (1770-1831) die Welt als einen auf ein Ziel ausgerichteten Entwicklungsprozess, von der bloßen Materie über die organische und anorganische Natur hinauf zum menschlichen Geist. Er interpretierte ihn als die allmähliche Selbstverwirklichung und Selbstbewusstwerdung des absoluten Weltgeistes. (Ähnliche Gedanken äußerte der französische Jesuit und Theologe Teilhard de Chardin.) Der Mensch sei aber nicht selbst der Weltgeist; er sei nur das Bewusstsein des absoluten Weltgeistes, insofern er um diesen Geist und um diese Welt wisse.

Immanuel Kant (1724-1804) leugnete zwar nicht, dass der Mensch auch ein Naturwesen sei, aber es sei vor allem das „moralische Gesetz“, das ihn aus dem Naturzusammenhang herausnehme und dem der Mensch seine besondere Stellung verdanke. Das moralische Ich führe (wie bei Descartes die geistige Substanz und bei Leibniz die Geistmonade) „ein von der ganzen Thierwelt und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben“ und sei unsterblich. (Allerdings hielt er die Unsterblichkeit nicht für eine im strengen Sinn beweisbare Behauptung.)

Es waren Denker und Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts wie Schopenhauer, Darwin, Marx und Freud, die den Menschen nicht mehr „von oben“ (Gott, Vernunft, Geist), sondern „von unten“ (Natur, Leib, Trieb, Gesellschaft) her auslegten. Sie suchten den Menschen aus seiner Natur heraus zu erklären und nahmen ihm den Glauben an die beherrschende Kraft der Vernunft. Durch sie wurde deutlich, wie wenig der Mensch die Bedingungen seiner eigenen Existenz in der Hand hält. Für ihre Sichtweise war der Rückgriff auf naturgeschichtliche, gesellschaftliche und tiefenpsychologische Faktoren charakteristisch.

Arthur Schopenhauer (1788-1860) bestimmte den Menschen radikal vom Leib her. Der Intellekt war in seiner Sicht eine Funktion des Gehirns, das wiederum ein Produkt des Organismus. Der (vernunftlose) Wille sei „das Primäre und Substantiale (…), der Intellekt dagegen ein Sekundäres, Hinzugekommenes, ja ein bloßes Werkzeug zum Dienst des ersteren“.

Charles Darwin (1809-1882) ordnete den Menschen radikal in den Naturprozess ein. Der Mensch sei nicht die Krone der Schöpfung, sondern nur die zufällige Spitze der verschiedenen Arten.

Karl Marx (1818-1883) erklärte den Menschen aus gesellschaftlichen Faktoren: „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“

Sigmund Freud (1856-1939) hob die Bedeutung des Unbewussten und der Triebe für das Selbstverständnis des Menschen hervor. Er betonte dessen Ohnmacht und Unvernünftigkeit, zumindest in den allermeisten Situationen und Lebenslagen: Der Mensch sei zumeist nicht Herr im eigenen Haus.

Die in der Darwinschen Evolutionstheorie behauptete verwandtschaftliche Nähe zum Tier löste die größte Empörung aus und generierte erbitterten Widerstand. Dem traten die Biologen und Paläontologen damals mit dem Postulat der Sonderstellung des Menschen entgegen. „Gleichzeitig ist niemand so stark überzeugt wie ich, dass der Abstand zwischen den zivilisierten Menschen und den Tieren ein ungeheurer ist. Niemand ist dessen so sicher, dass, mag der Mensch von Tieren stammen oder nicht, er zuverlässig nicht eins derselben ist.“ (Aldous Huxley 1883) Mit der Anschauung von der Sonderstellung ist die Beherrschung der Natur mit Hilfe von Wissenschaft und Technik verknüpft. Bis in die Gegenwart hinein wurde sogar von Biologen die Sonderstellung des Menschen kaum in Zweifel gezogen.

Durch die Neuro- und Kognitionswissenschaften wurde im 20. Jahrhundert das Zusammenspiel von Körper und Geist neu hinterfragt. Und je genauer die Funktionen unseres Gehirns verstanden wurden, desto mehr schienen seine Aktivitäten und das, was man meist „Seele“ nannte, miteinander verwoben zu sein. Es zeigte sich, dass die Vorstellung von der Doppelnatur des Menschen als körperliches und geistiges Wesen überholt ist. Alle unsere geistigen Fähigkeiten sind untrennbar an ein funktionsfähiges Gehirn geknüpft. Der Mensch scheint also mittels Neurologie und Physiologie und letzten Endes im Rahmen von Physik und Geschichte erklärbar zu sein.

2. Gefühlter Wertverlust

Wo immer wir Menschen bisher glaubten, wir wären etwas Besonderes, haben wir uns geirrt. Wir mussten die Vorstellung aufgeben, das Zentrum des Universums zu sein. Nach Darwin mussten wir uns von der Idee lösen, etwas anderes als biologische Wesen zu sein. Und wir mussten erkennen, dass der Lauf der Natur keine vorgesehene Richtung und keinen Plan hat.

Der englische Philosoph Bertrand Russell schrieb 1903 in einer Abhandlung: „…Dass der Mensch das Produkt blinder, zielloser Ursachen ist, dass sein Ursprung, seine Entwicklungen, seine Hoffnungen und Ängste, sein Lieben und sein Glauben nichts anderes als das Ergebnis zufälliger Zusammenstöße von Atomen sind; dass keine Leidenschaft, kein Heldenmut, keine Kraft des Denkens oder Fühlens das individuelle Leben über das Grab hinaus bewahren kann; dass all das jahrhundertelange Mühen, all die Hingabe, all die Inspiration, all die strahlende Helle des menschlichen Genies im Gefolge des umfassenden Todes des Sonnensystems zur Auslöschung verdammt sind und dass der ganze Tempel der menschlichen Errungenschaften unausweichlich unter dem Schutt eines zerstörten Universums begraben werden soll – all dies ist, wenn nicht schon über jeden Zweifel erhaben, so doch derart wahrscheinlich, dass keine Philosophie, die das abstreitet, Aussicht hat zu bestehen.“

Es fiel und fällt uns nicht leicht, die neuen Erkenntnisse zu verarbeiten. Schließlich haben wir uns über Jahrhunderte hinweg an unsere herausragende und privilegierte Rolle im Kosmos gewöhnt. Und diese Vorstellung lässt sich nicht so ohne Weiteres beseitigen. „Alle Religionen, fast alle Philosophien und zum Teil sogar die Wissenschaft zeugen von der unermüdlichen Anstrengung der Menschheit, ihre eigene Zufälligkeit zu verleugnen“, schrieb der französische Biologe Jacques Monod (1910-1976). Daher empfinden viele Menschen zunehmend ein tiefes Gefühl der Enttäuschung, wovon nicht nur unser Selbstverständnis, sondern auch unser Selbstwertgefühl nicht unberührt blieb.

Freud schrieb von einer Kränkung, ja sogar Demütigung durch die Wissenschaft: „Zwei große Kränkungen ihrer naiven Eigenliebe hat die Menschheit im Laufe der Zeiten von der Wissenschaft erdulden müssen. Die erste, als sie erfuhr, dass unsere Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist, sondern ein winziges Teilchen eines in seiner Größe kaum vorstellbaren Weltsystems. (…) Die zweite dann, als die biologische Forschung das angebliche Schöpfungsvorrecht des Menschen zunichte machte, ihn auf die Abstammung aus dem Tierreich und die Unvertilgbarkeit seiner animalischen Natur verwies. Die dritte und empfindlichste Kränkung aber soll die menschliche Größensucht durch die heutige psychologische Forschung erfahren, welche dem Ich nachweisen will, dass es nicht einmal Herr ist im eigenen Hause, sondern auf kärgliche Nachrichten angewiesen bleibt von dem, was unbewusst in seinem Seelenleben vorgeht.“

Der Katalog der Kränkungen des Menschen ließe sich heute erweitern: Der amerikanische Genforscher Richard Dawkins und manch andere Genetiker und Soziobiologen sehen im Organismus des Menschen nur eine „Überlebensmaschine der Gene“ (Dawkins), die Eiweißstoffe produzieren. Jaques Monod hält (ähnlich wie Vertreter der Kognitiven Psychologie) den Menschen in diesem Sinne für nichts anderes als eine Zusammenballung von Proteinen und Enzymen, eine biochemische Maschine, die von der Evolution entwickelt wurde und durch einen genetischen Mechanismus gesteuert wird. Einige ernstzunehmende Wissenschaftler betrachten den Menschen als komplizierten, selbstreproduzierenden, kommunizierenden Automaten, der ein Universum bevölkert, das so mechanische ist wie eine Spieluhr (Radikaler Reduktionismus).

Einige Computerwissenschaftler meinen gar, der Mensch sei allein durch „Information“ zu definieren. Der Körper sei lediglich als Informationsträger zu betrachten. Unsere Intelligenz sei nichts anderes als ein Rechenprogramm, und selbst unsere Gefühlswelt soll nicht anders sein wie bei einem Roboter der neuen Generation. Könnte man die vollständige Information eines Menschen auf einen Computer übertragen, wäre folglich der Computer mit dem informationsspendenden Menschen identisch. Er sei dann computertechnisch gesehen nur eine große Zahl, die digital beliebig oft zu kopieren und damit unsterblich zu machen wäre.

Nach Kopernikus, Darwin und Freud erleben wir jetzt also den letzten großen Angriff auf unser traditionelles Bild vom Menschen: Die Entthronung des Menschen als freies, denkendes Wesen, der „Wegfall“ der vermeintlichen Willensfreiheit und die Möglichkeit, das eigene Ich zu reproduzieren. Das ist nichts anderes als die Erkenntnis, dass wir als Personen ersetzbar und als Menschen bedeutungslos geworden wären.

Der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker (1912-2007) vertrat die Überzeugung, dass sich der Mensch nur dann versteht, wenn er sich in der Natur und ihrer Geschichte verankert sieht. Wir müssen akzeptieren, dass wir Teil der gesamten Biosphäre sind – auch wenn wir als einzige Lebewesen Beton mischen, Bomben herstellen, Bücher schreiben und auch lesen können. Mensch und Natur, Mensch und Biosphäre, aber auch Mensch und Erde und Mensch und Universum müssen untrennbar zusammengedacht werden wie ihre gemeinsame Geschichte. Ein japanischer Zen-Meister drückte es so aus:

„Der Mond bin ich, ich bin der Mond.

Was ist der Mond, was bin ich?

Man kann es nicht unterscheiden.

Mein Geist und der Mond sind vollkommen verschmolzen.“

Mit der Vorstellung von einer Sonderstellung läuft der Mensch heute Gefahr, sowohl seine geschichtliche wie auch aktuelle Abhängigkeit von der Biosphäre zu ignorieren und sich als „Entlassener aus der Natur“ von biotischen Beschränkungen weitestgehend frei zu wähnen. Die „natürliche“ Umwelt würde vorwiegend als Objekt der Weltbewältigung verstanden und im Sinne von tatsächlichen oder vermeintlichen Bedürfnissen ausgebeutet, umgestaltet und zerstört. Die Folge sind globale ökologische Krisen, wie wir sie heute erleben. „Wenn wir die Flexibilität verlieren und uns nicht mehr anzupassen vermögen, werden auch wir aussterben. Andere Arten werden unseren Platz einnehmen, unsere Nische ausfüllen, und den Evolutionsprozess fortsetzen – es sei denn, wir würden dabei die Lebensbedingungen so sehr verändern, dass keiner der bestehenden Organismen überleben kann.“ (Die amerikanische Archäologin Betty Meggers)

REM

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