Die Erde ist wie ein Organismus mit vielen Bestandteilen, die alle ineinander greifen und ein Gleichgewicht anstreben. Für die Balance sorgen die Teile selbst mit Hilfe vieler Rückkopplungsmechanismen. Auch der Mensch ist in dieses System mit eingebunden – ein Rädchen im globalen Getriebe. Allerdings greift er inzwischen auch drastisch in die Selbstregulierung der Erde ein. Schon seit dem ersten Auftreten von Homo sapiens vor rund 300 000 Jahren hat er die Umwelt verändert: Anfangs unmerklich, seit der neolithischen Revolution vor etwa 12 000 Jahren stärker und ab der Mitte des 18. Jahrhunderts radikal. Sein Wirken ist zu einem maßgeblichen Faktor im System Erde geworden, durch den der Planet grundlegend verändert und dabei viel Schaden angerichtet wurde.
Verwandlung der Erde
Homo sapiens hat sich zum Herren über die Natur aufgeschwungen und beeinflusst durch sein Handeln die Kreisläufe der Biosphäre. Die gesamte bisherige Kulturgeschichte des Menschen lässt sich als Indienstnahme und schrittweise Unterwerfung der ihn umgebenden Natur beschreiben. „Macht euch die Erde untertan“ ist wohl eine der folgenschwersten Aufforderungen gewesen, die je formuliert wurden. Sie führte dazu, dass sich die Menschen als etwas Besonderes, Einmaliges, ganz Anderes als Tiere und Pflanzen ansahen. Dieser Anthropozentrismus ist für die Vorstellung verantwortlich, als Eigentümer dieses Planeten seien wir Menschen weise genug, um zu wissen, wie wir damit umgehen müssen.
Jede der technischen Revolutionen – Werkzeugherstellung, Landwirtschaft, Industrialisierung – hat die Zahl der Menschen auf der Erde vervielfacht und ihre direkte Abhängigkeit von der Natur verringert. Seitdem ist der Mensch emsig dabei, die Erde auf jede erdenkliche Weise zu schädigen. In den letzten Jahrhunderten hat die Umweltverschmutzung, der Abbau von Ressourcen und die Auswahl der Arten, die gefördert werden, wichtige Materie- und Energieströme umgelenkt.
Die Explosion menschlicher Aktivitäten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die enormen Fortschritte in Wissenschaft, Technik und Medizin wird als „Große Beschleunigung“ gerühmt. Diese unglaubliche Zunahme an Geschwindigkeit und Mobilität bezahlen wir jedoch mit einem ungeheuren Energie-, Rohstoff- und Landschaftsverbrauch sowie mit Schadstoffbelastungen. Heute stehen wir in der Gefahr, diesen Prozess zu weit getrieben zu haben. Der Verbrauch an Wasser, Luft und Boden übersteigt in unserem Lebensraum schon heute deutlich die verfügbaren Kapazitäten.
Der Mensch ist also emsig dabei, die Erde auf jede erdenkliche Weise zu schädigen. Innerhalb von nur fünf bis sechs Generationen hat er die Erdoberfläche großräumig und tiefgreifend verändert. Wir haben riesige Regionen entwaldet, Berge abgetragen, Flüsse begradigt und das Klima verändert. Durch die Abholzung und Brandrodung der Wälder wurden wichtige Kohlenstoffspeicher vernichtet. Durch die Veränderung der Beschaffenheit der Erdoberfläche (z. B. Ackerflächen anstelle von Wäldern) wurde das Reflexionsvermögen (Albedo) erhöht.
Er pumpt Wasser aus dem Boden, so dass sich der Grundwasserspiegel absenkt. Er stört empfindlich den Wasserkreislauf durch Flächenversiegelung und Umleitung von Wasser für Trinkwasser, Bewässerung, aber auch zur Beseitigung von Fäkalien und Müll. Umfassende Flussregulierungen und der Bau von Staudämmen verhindern, dass genügend Sedimente ins Meer gelangen, wodurch sich die Deltas zurückziehen und das Meer ins Hinterland vordringt. Gerade dort leben besonders viele Menschen in Megastädten. Der Mensch ändert den Gehalt der Atmosphäre an Spurengasen und Schwebteichen, was die irdische Strahlungsbilanz sowie die Eigenschaften der Wolken beeinflusst. Wir verwandeln Luftstickstoff in Dünger und erschaffen Stoffe und Organismen, die es vorher in ihrer Umwelt so nicht gab.
Fast überall auf dem Planeten hat der Mensch die Urnatur zur Neonatur umgewandelt – in aller Regel auf Kosten der biologischen Vielfalt, Fruchtbarkeit der Böden und natürlichen Klimapuffern wie Wäldern und Feuchtgebieten. Nur noch 23% der eisfreien Erdoberfläche sind noch weitgehend unberührt, knapp 80% hingegen mehr oder weniger von uns geprägt. Die Erde, sagen Forscher, sei inzwischen zu einem „Humansystem mit eingebetteten, natürlichen Ökosystemen“ geworden. Wir sind tatsächlich längst nicht mehr Teil der Natur, sondern ihr Beherrscher. Das natürliche Gleichgewicht auf der Erde gerät ins Wanken. Die Rückkopplungen, die den Zustand des Amazonas-Regenwaldes langfristig stabil halten, funktionieren schon heute nur noch eingeschränkt. Lebensraum wird fragmentiert oder sogar vernichtet, so dass vielen Tier- und Pflanzenarten die natürlichen Lebensgrundlagen entzogen werden. Die Folge ist das heute beobachtbare massenhafte Artensterben.
Hinzu kommt die Belastung von Boden, Luft und Meeren mit Schadstoffen. Schwermetalle und Chemikalien verunreinigen unsere Böden und Gewässer. Fast 100 Millionen unterschiedliche chemische Produkte entstanden bis heute, die meisten künstlich synthetisiert, darunter langlebige organische Schadstoffe wie Insektizide oder toxische Industriechemikalien wie Dioxine. Viele der am weitesten verbreiteten, hartnäckig überdauernden Umweltgifte können über Nahrungsketten schließlich in Organismen angereichert werden und als Nervengifte und Enzymblocker wirken – oder Fortpflanzung und körpereigene Abwehrkräfte beeinträchtigen.
Die Folgen der Kunststoffschwemme sind überall in der Natur, in den Ozeanen und an den Stränden zu beobachten. An der Küste von Hawaii wurden so viele Gebilde aus geschmolzenen Kunststoffen, Vulkangestein, Korallenfragmenten und Sandkörnern entdeckt, dass man ein neues Gestein taufte: Plastiglomerat. Eine ökologische Zeitbombe ist das Radioaktivitätsrisiko aus Uranabbau, alternden Reaktoren und Wiederaufbereitungsanlagen. Dabei ist die Entsorgung des gefährlichen, radioaktiven Abfalls noch überhaupt nicht richtig geklärt. Plutonium hat eine extrem lange Halbwertzeit von 24 400 Jahren. Selbst in 100 000 Jahren wird sich die 3333ste Generation nach uns noch um die giftige Substanz kümmern müssen, die in der Natur eigentlich gar nicht vorkommt.
Klimawandel
Der Einfluss anthropogener Aktivitäten hat auch zu einem für paläoklimatische Verhältnisse drastischen Klimawandel geführt. Immer mehr Treibhausgase (Kohlenstoffdioxid, Methan, Lachgas bzw. Distickstoffmonoxid) gelangten in die Atmosphäre. Noch nie in den letzten 650 000 Jahren enthielt die irdische Lufthülle so viele wie heute. Die Zunahme der globalen Durchschnittstemperaturen setzte bereits ab 1830 herum durch die zunehmende Nutzung fossiler Brennstoffe zur Energiegewinnung ein. Heute gehen fast ein Drittel der globalen Emissionen auf den Nahrungsmittelsektor zurück: Rodung von Wäldern für Acker- und Weiseflächen, die Produktion und der Einsatz von Düngemitteln, die vermehrte Nutzviehhaltung sowie der Transport von Lebensmitteln.
Der Klimawandel wird sich mindestens über einige Jahrzehnte noch weiter verschärfen. Davon betroffen sind alle Regionen des Planeten und alle Fassetten des Klimasystems, von den Temperaturen über den globalen Wasserhaushalt bis hin zu den Eisschilden der Polargebiete. Der derzeitige Temperaturanstieg entspricht dabei dem seit der letzten Eiszeit – allerdings mit der hundertfachen Geschwindigkeit. Die Atmosphäre hätte sich noch weit stärker erwärmt, als wir beobachten, hätten nicht die Ozeane die Wärme zunächst aufgenommen, wobei das anthropogen erzeugte Kohlenstoffdioxid zur Versauerung des oberflächennahen Meerwassers beiträgt.
Bis 2100 (nach IPCC-Bericht) erwarten die Forscher eine globale Erwärmung von 4,5°C und einen Meeresspiegelanstieg um 1,40 Meter, falls die Menschheit den Klimawandel nicht in den Griff bekommt. Menschliche Siedlungen sind bedroht, eine weiträumige Abschwächung oder Verlagerung der globalen Ozeanzirkulation wird befürchtet. Das träge, großräumige System von Meeresströmungen könnte sogar fast ganz zum Stillstand kommen. Längerfristig könnten auch die polaren Eiskappen zum Schmelzen gebracht werden. Fast alle Klimamodelle sagen voraus, dass bis spätestens zum Ende des 21. Jahrhunderts die Arktis im September komplett eisfrei sein wird – wenn die Treibhausgas-Emissionen weiter so steigen wie bisher. Das Abschmelzen der Eiskappen auf Grönland und in der Antarktis könnte nicht Jahrtausende dauern, wie bisherige Simulationen ergaben, sondern nur Jahrhunderte, befürchten Wissenschaftler. Eine ganz eisfreie Welt gab es im warmen Eozän vor über 50 Millionen Jahren.
Die weltweite Erwärmung ist ein globales Pulverfass – und die Lunte brennt bereits. „Es ist bereits fünf nach zwölf!“ mahnt der Paläoklimatologe Gerald Haug von der ETH Zürich. Selbst Skeptiker unter den Forschern leugnen nicht die Gefahr, dass der weitere Anstieg der Temperatur die Klimamaschine des Globus über eine Schwelle treiben könnte, hinter der das System chaotisch zu werden droht. Es sind nichtlineare geophysikalische Phänomene – d. h. kleine Änderungen, die in Zeitspannen von wenigen Jahren auftreten -, die das herrschende Gleichgewicht in Teilen der Welt und global aus den Fugen geraten lassen und in einen anderen Zustand kippen können.
Wissenschaftler haben bis zu 16 entscheidende „Kipp-Elemente“ ausfindig gemacht, z. B. das Schmelzen der großen Eisschilde oder das Verschwinden des Amazonas-Regenwaldes. Ist einmal eine solche kritische Schwelle überschritten, können die resultierenden Veränderungen Jahrtausende anhalten. Das Erreichen eines Kipp-Punkts ist in den meisten Fällen nicht vorhersagbar. Heute scheinen einige der Kipp-Elemente dem Kollaps schon nahe zu sein, z. B. Teile des arktischen Permafrosts.
Experten schätzen, dass in diesem Jahrhundert durch die Klimaerwärmung zwischen 5 und 15% des Kohlenstoffs in auftauenden Permafrostböden freigesetzt werden, meist in Form von CO2. Dabei dürften aber auch die Methanemissionen steigen, bis Ende des Jahrhunderts schätzungsweise um 20 bis 40%. Die Jahresmitteltemperatur der Erde könnte dadurch um zusätzliche 0,32°C steigen.
Biosphäre
Es gibt keinen Zweifel: Die Biosphäre der Erde ist schon heute durch menschliche Eingriffe radikal erschüttert. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat allein der rasche, menschengemachte Klimawandel einschneidendere Folgen für Flora und Fauna als die letzte Eiszeit. Viele Tier- und Pflanzenarten können nicht schnell genug reagieren, um sich an die rasanten Veränderungen anzupassen, zumal mögliche Rückzugsgebiete schon heute nicht mehr ungestört sind. Vor allem kalkbildende Organismen wie Muscheln, Korallen und Kieselalgen haben mit der Versauerung der Meere zu kämpfen, denn die Säuren lösen Kalkschalen und -skelette auf. In manchen Gegenden, von der Karibik bis zum Ostpazifik, sind wohl schon über 70% der empfindlichen Korallenriffe zerstört. Doch der geringe pH-Wert erschwert nicht nur die Kalkbildung, er kann auch die Stoffwechselfunktionen von Fischen und anderen Lebewesen beeinflussen.
Wenn sich die CO2-Emissionen nicht verringern, werden die Ozeane nicht nur saurer, auch die sauerstoffarmen Zonen werden zunehmen. Schon in den letzten 50 Jahren ist der Sauerstoffgehalt in den tropischen Ozeanen um bis zu 15% zurückgegangen. Wenn sich die Atmosphäre unseres Planeten bis zum Ende des Jahrhunderts um mehr als 4% erwärmt, ergeben die Klimamodelle, dass es in einer Tiefe von 100 bis 600 Metern allein durch den Klimaeffekt bei etwa 70% der Meeresfläche zu Sauerstoffverlust kommt. In diesen sogenannten „Todeszonen„, die sich vor allem in den tieferen Schichten der tropischen Meere befinden, kann kein höheres Leben mehr existieren.
Die derzeitige Aussterberate ist im Vergleich zum Durchschnitt der letzten 10 Millionen Jahre je nach Schätzung 10 bis 100mal so hoch. Wird sich die Rate dieses Artenschwunds in Zukunft nicht drastisch vermindern, könnte es zu einem Massensterben und einem Artenverlust vergleichbar jenem an der Kreide-Tertiär-Grenze kommen, als die Dinosaurier verschwanden. Die sogenannte „Krone“ der Schöpfung wäre damit das erste Lebewesen, das die Erde mitsamt ihrer Evolutionsgeschichte und mit all ihren Wundern innerhalb kurzer Zeit auslöschen kann.
Aber auch wir Menschen selbst werden an den Folgen des selbstverschuldeten Klimawechsels schwer zu tragen haben. Schon 1988 hieß es auf der Weltklimakonferenz: Die fortschreitende Veränderung der Erdatmosphäre bedrohe die globale Sicherheit, die Weltwirtschaft und die natürliche Umwelt. Steigt die globale Mitteltemperatur über zwei Grad, werden sich die Tage mehren, an denen kritische Toleranzschwellen für Land- und Forstwirtschaft und menschliche Gesundheit erreicht werden. Nachteilige Einflüsse wird es auf jeden Fall auf die Verfügbarkeit von Süßwasserressourcen geben: Wassermangel und Versteppung großer Gebiete in vielen Teilen der Welt.
Es wird heute schon erwartet, dass der Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten mindestens 12 Millionen Menschen in extreme Armut treiben wird. Krankheitserreger werden sich weltweit ausbreiten, Naturkatastrophen sind unvermeidbar: Jedes Jahr eine Jahrhundertflut an einer Küste, mehr Hochwasserkatastrophen auch im Binnenland, und dazu häufigere Stürme, Dürren und Waldbrände mit unabsehbaren Folgen für Bevölkerung und Ökosysteme.
Evolutionäres Erbe
Die Evolution hat uns zur überlegenen Spezies gemacht, aber diese Entwicklung schlug in Überheblichkeit und Zügellosigkeit um. Ein beispielloses Artensterben und ein Verlust von einzigartigen Landschaften infolge Klimawandel, wirtschaftlicher Ausbeutung und zunehmender Umweltzerstörung steht uns bevor. Stephen Hawking warnte immer wieder, dass wir mit dem Klimawandel, den steigenden Temperaturen, dem Schmelzen der polaren Eiskappen, der Abholzung der Wälder und der Dezimierung der Arten unseren Planeten ruinieren.
Expansion, Konsum und Unterwerfung sind anscheinend in unserer DNA festgeschrieben. Der Mensch ist sozial und kognitiv an weit einfachere Lebenswelten adaptiert als jene, in der wir uns heute bewegen. Er lebte in einer überschaubaren Kleingruppe, musste um begrenzte Nahrung kämpfen und war mit hoher Sterblichkeit konfrontiert. Die Natur um ihn herum schien grenzenlos und unerschöpflich. Dies bestimmt auch heute noch sein Denken und sein Handeln. Aber die Welt, die ihn gemacht hat, ist verschwunden; und für die neue Welt, die er gemacht hat, hat er nur eine geringe Kapazität entwickelt, um sie zu verstehen. Wir stehen also vor den Problemen des 21. Jahrhunderts mit Gehirnen, die zum großen Teil noch die Welt von vor 50 000 Jahren widerspiegeln.
Es scheint, als ob der Mensch aus Schaden nur dann klug wird, wenn dieser sofort eintritt. Kurzfristige Erfolge werden demnach für wichtiger gehalten als langfristige Nachteile. Aufgrund dieser erkennbaren Defizite, des oftmals nicht an langfristiger Lebenssicherung orientierten Denkens und des Dranges, alles, was machbar ist, auch in der Tat umzusetzen, gefährden wir unsere Zukunft. Die Vorstellung, welche Konsequenzen heutiges Handeln in der „fernen Zukunft“ haben könnte, übersteigt wohl unsere Antizipationsfähigkeit. Selbst das Wissen, dass unser Handeln zukünftige Schäden bewirken kann, hält uns nur bedingt davon ab. Gerade in dieser ungenügenden Berücksichtigung der Zeitdimension wird heute eine der Hauptursachen der gegenwärtigen Umweltprobleme gesehen.
Immer wieder wird die wertebasierte Diskussion über die Konsequenzen aus Forschungsergebnissen mit einer Diskussion über die objektiven Forschungsergebnisse an sich verwechselt. Eine solche Vermischung erschwert es ungemein, effektiv und in einem breiten gesellschaftlichen Konsens auf die Herausforderungen unserer immer komplexeren Zukunft zu reagieren. Die Frage ist auch, ob wir angesichts unseres evolutionären Erbes kollektiv handlungsfähig sind, denn kollektive Krisen erfordern auch eine weltweite Koordination von Gegenmaßnahmen.
Die Menschen sind von Natur aus skeptisch, wenn kurzfristige persönliche Einschränkungen gefordert werden. Treffen sich Menschen aus verschiedenen Nationen oder Kulturen zu politischen Gesprächen, will man den eigenen Vorteil nicht verspielen und scheut Kosten und Kooperation, wenn andere vermeintlich davon mehr profitieren. Verzicht zugunsten der Allgemeinheit zur Lösung einer globalen Krise ist in der Wirtschaftspolitik nicht vorgesehen. Jeder verfolgt seine eigenen Interessen. Das galt und gilt auch bei der Verteilung der Impfstoffe, der Aufnahme von Flüchtlingen und der Bekämpfung von Fluchtursachen.
Dazu liefert die Spieltheorie Erkenntnisse: In sogenannten Öffentliche-Güter-Spielen profitiert jeder in der Gruppe von der Kooperation; aber unter sonst gleichen Bedingungen erhöhe ich meinen Gewinn, wenn ich von Kooperation zu Selbstsucht übergehe. Das heißt: Obwohl ich möchte, dass die anderen kooperieren, verhalte ich mich „schlau“, wenn ich sie hintergehe. Das Problem ist, dass jeder in der Gruppe genauso denkt, wodurch anfängliche Kooperation unweigerlich in allgemeiner „Abtrünnigkeit“ endet.
Schon jetzt treibt der Raubbau an Natur und Rohstoffen und der fehlende soziale und kulturelle Ausgleich unter den Gesellschaften der Welt die Menschheit in den Ruin. Um die Gefahr, unser Überleben aufs Spiel zu setzen, abzuwenden, sind wir gezwungen, zusammenzuarbeiten. Ob uns das rechtzeitig gelingt, ist die große Frage. Denn es kommt noch eine weitere psychische Besonderheit des Menschen hinzu: unsere Illusionsneigung. Längst sind aus lokalen Umweltproblemen globale Umweltkrisen geworden, wir aber bilden uns nach dem „Prinzip Hoffnung“ ein, dass es schon irgendwie weitergehen wird – mit verbesserter Technik.
Diese Hoffnung aber hält der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal (und andere Wissenschaftler) angesichts der gegenwärtigen Probleme für einen „Kopf-in-den-Sand-Optimismus“. Daraus leitet er die Überzeugung ab, dass, wenn der Mensch nicht doch noch die Probleme in den Griff kriegen kann, unsere Art über kurz oder lang aussterben wird. Die heutige Zivilisation wäre zumindest nicht die erste Hochkultur, die einfach verschwindet. Die Maya in Zentralamerika bauten große, prachtvolle Städte, hatten eine Schrift und astronomische Kenntnisse. Wahrscheinlich haben sie sich mit ihren Rodungen und dem intensiv betriebenen Ackerbau aber der eigenen Lebensgrundlage beraubt. Als noch eine Klimakrise eintrat, waren sie offenbar nicht mehr in der Lage, sich schnell genug an die raschen Veränderungen anzupassen.
„Der Mensch glaubt, die Natur zu beherrschen, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen“, meinte Albert Schweitzer. Wir haben uns heute zu weit fortbewegt von den Grundprinzipien der Natur. Die Natur aber ist unsere eigene Lebensgrundlage, von der wir abhängen. Sie ist an ihre eigenen Zeitrhythmen gebunden, und ihre Fähigkeit, auf Veränderungen zu reagieren und zivilisatorische Störungen auszugleichen, ist begrenzt. Wenn wir sie durch die Ausrottung von Arten nachhaltig manipulieren, verändern wir auch die Ökofaktoren, die unser eigenes Leben bestimmen. „Gaia gibt auf sich acht. Und die beste Art und Weise, dies zu erreichen, könnte die sein, uns loszuwerden“, soll Lovelock einmal gesagt haben.
Verpflichtung
Mensch und Erde bilden eine Schicksalsgemeinschaft. Wir sind ein integrativer Bestandteil der Natur, dieses großen Schöpfungswerks, vor dem wir Achtung haben sollten. Für uns Menschen sollte die Verantwortung darin bestehen, durch kollektiven Einfluss auf die Erde eine merkliche Rolle bei ihrer künftigen Entwicklung zu spielen. Das 21. Jahrhundert wird möglicherweise von entscheidender Bedeutung (im Sinne von „Scheideweg„) für unsere Spezies und unseren Planeten sein. Eine gesellschaftliche Transformation ist unausweichlich, ob wir sie nun wollen oder nicht. Die Frage ist nur, ob sie „by design“ (also kontrolliert) kommt, oder „by desaster“ (also in einem katastrophalen Prozess).
Selbst wenn manche Prozesse nicht mehr aufzuhalten sind, lassen sie sich doch bremsen. Je mehr wir vom Gen-Pool der Erdgeschichte zu retten vermögen, um so eher werden wir die technologischen, landwirtschaftlichen, medizinischen und ökologischen Herausforderungen der Zukunft bewältigen. Generell gilt: Die Versorgung einer größeren und dichter siedelnden Menschheit und die Entsorgung der von ihr produzierten Abfall- und Schadstoffe ist nur durch sparsamere und effizientere Nutzung der Ressourcen sicherzustellen. Dazu bedarf es einer „reduktiven Moderne“ – einer Lebensweise, die den heutigen zivilisatorischen Standard bewahrt, dabei aber ohne Wirtschaftswachstum, exzessiven Konsum und Raubbau an der Natur auskommt.
Was wir also brauchen, ist ein Wandel unserer Werte und Einstellungen, eine Ethik, die darauf basiert, dass wir die Zukunft mitbeachten und unsere Lebensgrundlage, nämlich das Ökosystem Erde, schützen. Dazu müssen wir uns bescheidener einpassen in die Geflechte wechselseitiger Beziehungen und Wechselwirkungen, die das Dasein auf unserer Erde zusammenhalten. Nur durch einen grundlegenden Wandel der Lebens- und Konsumbedingungen (insbesondere im Energiebereich) bzw. Änderung bestimmter Lebensstile kann die Erde für die nächsten Generationen bewohnbar bleiben.
Erforderlich ist also, eine Kultur der Achtsamkeit (aus ökologischer Verantwortung) mit einer Kultur der Teilhabe (als demokratische Verantwortung) sowie mit einer Kultur der Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen (Zukunftsverantwortung) zu verbinden. Ganz wichtig: Der alte Adam, der mit seiner altsteinzeitlichen Gen-Ausstattung ins dritte Jahrtausend stolpert, muss die ihm angeborenen Wahrnehmungsmuster und Lösungsangebote („gesunder Menschenverstand„) immer wieder in Frage stellen und ihnen vor allem dort misstrauen, wo Probleme in ihrer Komplexität oder Reichweite den Nahbereich überschreiten.
Laut dem Popul Vuh, dem heiligen Buch der Quiche-Maya, ging ihr Volk unter, weil die Götter eines Tages nicht mehr mit den Sterblichen zufrieden waren. „Müssen die Menschen sich zu Göttern erheben?“ fragten die wahren Götter und beschlossen, den Maya all ihre Größe zu nehmen und sie nur noch das Nötigste wissen zu lassen. Die letzten Überlebenden der Maya hatten bei der Einwanderung der Spanier die Rodung und den intensiven Ackerbau ihrer Vorfahren aufgegeben und lebten bescheiden – mit der Natur und nicht gegen sie.
Für den Astronauten William Anders von Apollo 8 wurde, als er in der Umlaufbahn des Mondes zurück auf die knapp 400 000 Kilometer entfernte Erdkugel blickte, zum ersten Mal so richtig bewusst, welch unbedeutendes und doch überaus einzigartiges Objekt unser Planet in der Weite des Kosmos ist – und wie behutsam wir damit umgehen müssen.
REM