Der Landgang des Lebens

Leben entstand vor spätestens 3,5 Milliarden Jahren im Wasser und wagte sich die ersten Milliarden Jahre nicht aufs Land. Dort drohte nämlich die energiereichen UV-Strahlung der Sonne die DNA auseinanderzureißen. Abdrücke und chemische Veränderungen in alten Gesteinsschichten deuten darauf hin, dass aber vielleicht schon vor über einer Milliarde Jahren erste Organismen auf dem Trockenen saßen.

Als Glücksfall für einen Landgang der Lebewesen erwies es sich, dass Sauerstoff durch die von den Cyanobakterien betriebenen Fotosynthese in die Atmosphäre gelangte. In der Stratosphäre wurde das Gas (O2) durch die kurzwellige UV-Strahlung der Sonne gespalten und es entstand Ozon (O3). Vor 670 Millionen Jahren lag der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre vermutlich bei 7%, was schon ausreichte, um eine schützende Ozonschicht zu bilden, die das schädliche UV-Licht blockierte und Leben an Land erleichterte. Sie schützt uns auch heute noch.

Pilze und Pflanzen

Pilze könnten lange vor den ersten mehrzelligen Pflanzen auf die urzeitlichen Landmassen vorgedrungen sein. Ihr Ursprung liegt nach molekularen Studien 750 bis 900 Millionen Jahre zurück. Sie verbündeten sich mit einzelligen Algen und besetzten als Flechten das Land. Spätestens vor 540 Millionen Jahren könnten sich auch dünnhäutige Pflanzen an Land ausgebreitet haben. Sie waren aus einzelligen Grünalgen hervorgegangen und stammten wohl nicht, wie lange vermutet, aus dem Meer, sondern aus dem Süßwasser. Ihr Bau erinnert an fädige Algen, wie sie heute noch in Seen oder an luftfeuchten Standorten vorkommen. Sie breiteten sich zunächst im Uferbereich von Bächen und Flüssen sowie in feuchten Felsspalten aus.

Mit der Entwicklung der Moose vor etwa 460 Millionen Jahren fand eine große Veränderung auf den Kontinenten statt. Sie begannen die Felsen im Flussbett zu überziehen und bedeckten schließlich über Tausende von Quadratkilometern die Erde und ließen sie ergrünen. Erste höhere Landpflanzen gab es in der Erdgeschichte erst im Silur (vor 443 bis 419 Millionen Jahren); es handelt sich um einfach gebaute Nacktfarne (Psilophyten), die aus gabelig verzweigten, dünnen Sprossen bestanden, aber noch keine Wurzeln und Blätter hatten.

Im Devon (vor 419 bis 359 Millionen Jahren) wurden sie durch Gefäßsporenpflanzen (Farne, Schachtelhalme, Bärlappgewächse) abgelöst, die über echte Wurzeln und ein Wasserleitsystem im Stängel verfügten. Ihre Wurzeln konnten in felsigen Untergrund eindringen, sich dort verankern und Wasser aufnehmen. Gemeinsam mit Pilzen zersetzten sie das Gestein auf biochemischem Weg, wodurch sich die Verwitterungsrate auf mehr als das Zehnfache beschleunigte. Die erhebliche Zunahme von Tonmineralen und die höhere Geschwindigkeit der Bodenbildung sorgte für einen stetig wachsenden Lebensraum für weitere und größere Pflanzen und Pilze. Ab spätestens 400 Millionen Jahre vor heute eroberten die Pflanzen schließlich das Land in großem Stil und schufen damit die Lebensgrundlage für eine Besiedlung des Landes durch Tiere.

Tiere

Im Ordovizium (vor 485 bis 443 Millionen Jahren) machten Gliedertiere wohl schon erste zaghafte Schritte an Land. Ihr Außenskelett, das im Wasser Schutz gegen Fraß und Verletzungen bot, eignete sich jetzt auch als Verdunstungsschutz. Mit jedem Segment ihres gegliederten Körpers konnten sie Sauerstoff aufnehmen und damit auch Schwankungen der Sauerstoffmengen in der Atmosphäre ertragen. Die gegliederten Beine erleichterten zudem offenbar den Landgang. Als eine der ersten Tierarten wagten sich möglicherweise Skorpione an Land. Sie besaßen Strukturen, welche jenen der Pfeilschwanzkrebse ähneln, die sich heute vornehmlich in küstennahen Gewässern aufhalten, ebenso aber auch kurzzeitig an Land gehen können. Spätestens im Silur tauchten auch Vorfahren der modernen Krebse auf und krochen an Land (wegen Flucht oder Nahrungssuche?). Ihnen folgten weitere Gliedertiere. Das bisher älteste fossil überlieferte Landlebewesen, das Luft atmete, ist ein Tausendfüßer, der ein Zentimeter lang war und vor 428 Millionen Jahren lebte.

Von 30 bekannten Tierstämmen bei den Wirbellosen haben nur sieben in der Geschichte des Lebens landlebende Arten hervorgebracht. Die Ahnen der heutigen Krebse und Insekten übernahmen zunächst die Herrschaft über die Erde, wobei es den Insekten gelang, immer besser mit den widrigen Bedingungen an Land (Hitze, Kälte, Trockenheit) zurechtzukommen. Meist noch flügellos und den millimeterkleinen Springschwänzen ähnlich wurden sie vor über 400 Millionen Jahren zur entscheidenden Größe.

Im Pflanzenreich dominierten im Devon Sporenpflanzen, die noch eine immerfeuchte Umgebung brauchten. Wer höher wachsen kann als die Konkurrenz, der bekommt auch mehr Licht ab und hat deshalb bessere Überlebenschancen. So bildeten sich fruchtbare Wälder aus riesigen Farnkräutern, hohen Schachtelhalm- und Bärlappgewächsen, welche die noch öde Landschaft mit vergleichsweise rasender Geschwindigkeit zu erobern begannen. Millionen Jahre lang pumpten die Pflanzen und Bäume Sauerstoff in die Atmosphäre, so dass dessen Gehalt in der Luft zeitweise 50% höher lag als heute. Gleichzeitig wurden unvorstellbare Mengen an Kohlenstoff gespeichert. Die Mikroorganismen schafften es nicht mehr, alle abgestorbenen Pflanzen zu zersetzen. (Aus diesen entstand mit der Zeit Kohle, die wir heute noch verbrennen.) Erst vor etwa 350 Millionen Jahren pendelte sich ein ungefähres Gleichgewicht zwischen Sauerstoffproduktion (durch die Fotosynthese der Pflanzen) und Sauerstoffverbrauch (durch fortdauernde Verrostung und die Atmung der Tiere) ein. Seither beträgt der Sauerstoffanteil in der Atmosphäre relativ konstant knapp 21%.

Wirbeltiere

Vor rund 400 Millionen Jahren erlaubte es der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre, dass sich auch höhere Tiere an Land wagen konnten. Es waren wohl Fleischflosser (Muskelflosser), die sich vorsichtig vortasteten. Sie waren im Devon weltweit verbreitet und besiedelten auch mehrmals unabhängig voneinander das Süßwasser. Neben den muskulären Flossen entwickelten sie im Laufe der Evolution eine knöcherne Wirbelsäule, die mit Schulter- und Beckengürtel samt seitlichen Knochen (homolog zu den Oberarm- und Oberschenkelknochen der Landwirbeltiere) verbunden war.

Heute existieren noch zwei Gruppen der Fleischflosser: Quastenflosser und Lungenfische. Die Vorfahren der heutigen Quastenflosser lebten vor 360 Millionen Jahren und konnten mit ihren Lungenblasen einige Zeit an Land überstehen. Sie haben sich offenbar während des Erdmittelalters an ein Leben in der Tiefe angepasst, wo sie die Umweltkatastrophe an der Kreide-Tertiär-Grenze (vor 66 Millionen Jahren) überstanden. Lungenfische sind etwas näher mit Landwirbeltieren verwandt als die Quastenflosser, aber wohl auch nicht die Vorfahren der Landwirbeltiere.

Der ältesten Hinweise auf Vierfüßer (Tetrapoden), die wir derzeit kennen, sind 385 Millionen Jahre alte Knochenfragmente, aber es liegen auch Fußabdrücke von Tetrapoden vor, die noch einmal fast 10 Millionen Jahre älter sind. Die Abdrücke (mit mehreren Zehen) als auch das treppenförmige Gangmuster deuten auf eine Fortbewegungsweise wie bei einem Salamander hin. Anscheinend lebten diese Tiere aber immer noch im Wasser: Während ihr Körper wahrscheinlich auf dem Wasser schwamm, drückten sie sich mit den Füßen am Boden ab.

Alles in allem handelte es sich bei den frühen Tetrapoden und ihren unmittelbaren Vorläufern um recht ansehnliche Geschöpfe. Fast alle Übergangsformen maßen rund einen Meter in der Länge, manche sogar noch einiges mehr. Die meisten Tetrapoden des Devon dürften durch die Entwicklung von Gliedmaßen und Zehen große Nutzen gezogen haben. Im Gegensatz zu Fischen konnten sie damit durch dichte Sumpfgebiete paddeln, im Schlamm nach Beute graben, sich durch trübes Wasser tasten und unter den am Ufer wachsenden Pflanzen Schutz suchen. Sie erbeuteten verschiedenste Fische und Wirbellose und waren dabei vermutlich nicht sonderlich wählerisch.

Fossile Nachweise

Rund 20 Millionen Jahre der frühen Vierfüßerevolution im Devon sind gut dokumentiert. Als ein Übergangsorganismus zu landlebenden Wirbeltieren gilt Tiktaalik roseae. (Das Wort Tiktaalik stammt aus der Sprache der Inuit und bedeutet „Großer Süßwasserfisch“.) An ihm lassen sich leicht die schrittweisen Veränderungen erkennen, die der Wechsel vom Wasser aufs Land mit sich brachte.

Tiktaalik roseae lebte vor 385 Millionen Jahren im niedrigen Süßwasser, hielt sich aber wohl auch an dessen Rand auf. Er hatte bereits Rücken- und Afterflosse verloren. Bei mehr als zwei Metern Länge besaß er starke Brustflossen mit gut entwickelten Armknochen samt Ellenbogengelenk und beweglichen Handgelenken, auf die er sich wahrscheinlich stützte, um sich nah der Küstenlinie aus dem Wasser zu stemmen und ans Ufer zu robben. Allerdings besaß Tiktaalik noch keine Finger oder Zehen, sondern noch Flossenstrahler. Die hinteren Flossen waren ganz ähnlich gebaut wie die Brustflossen, und auch von vergleichbarer Größe. Der Beckengürtel des Tiktaalik roseae war beinahe genauso groß wie bei heutigen Vierfüßern und besaß Hüftgelenkspfannen, die bewegliche Oberschenkelknochen aufnahmen. Das Tier konnte also unter Einsatz aller Muskelflossen sowohl paddeln als auch laufen und stand demnach am Übergang zum Vierfüßergang. An seinem schon beweglichen Kopf mit langer, flacher Schnauze (krokodilähnlich) saßen die Augen an der Oberseite. Zwar besaß Tiktaalik auch noch Kiemen, doch scheint das Atmen von Luft schon ziemlich ausgeprägt gewesen zu sein. Er unternahm wohl bereits kurzfristige Ausflüge in trockene Gefilde.

Elpistostege, ein 375 Millionen Jahre altes, 1,57 Meter langes fossiles Tier, ist Analysen zufolge unter den Fischen der engste Verwandte jener Gruppe von Tetrapoden, zu der alle heutigen Landwirbeltiere mit vier Extremitäten und ihr letzter Vorfahr gehören.

Elpistostege lebte in einem Wasserlauf, der in ein Flussmündungsgebiet führte. Seine Brustflossen enthalten Knochen (hervorgegangen aus knochigen Stützen für die hornartigen Flossenstrahlen), die homolog zu den Fingern in den Händen und Füßen der heutigen Landwirbeltiere einschließlich des Menschen sind. Mit seinen weitaus kräftiger gebauten Flossen im Vergleich zu Tiktaalik war Elpistostege wahrscheinlich noch viel besser dafür gerüstet, sich auf das trockene Land zu wagen. An seiner Körperrückseite befanden sich zwei große, als Spiracula (Mehrzahl von Spiraculum) oder Sauglöcher bezeichnete Öffnungen. Sie wurden, ähnlich wie bei heutigen luftatmenden Fischen, für das Luftatmen genutzt. Dazu drückte sich der Fisch mit den Flossen nach oben und hob den Kopf aus dem Wasser.

Parmastegae aelidae war ein kiemenatmender Wasserbewohner, der eine Körperlänge von schätzungsweise mehr als einem Meter erreichte. Er lebte vor etwa 372 Millionen Jahren in flachen Buchten.

Offenbar schauten die Tiere aus großen, ovalen Augenöffnungen – hoch oben nahe dem Schädeldach – über die Wasseroberfläche, vermutlich ganz ähnlich, wie es die heute noch lebenden Schlammspringer tun. Ein weiteres erstaunliches Merkmal dieses Tetrapoden ist die extrem niedrige Position der Nasenöffnungen. Diese befinden sich nahe am Kiefer und müssen somit meist unter dem Wasserspiegel gelegen haben. Sie dienten höchstwahrscheinlich als Öffnungen, durch die Wasser einströmte, um zu den Kiemen zu gelangen.

Bei Tetrapoden, die nach Parmastega aelidae kamen und weiter evolviert waren, machten die Spiracula (s. o.) Ohren Platz. Die Nasenöffnungen waren größer und auf der Schnauze nach oben gewandert. Die Tiere nutzten ihre Nasen also wahrscheinlich schon, um Luft einzulassen und in Richtung der Lunge zu transportieren, während sie zwecks Beutesuche aus dem Wasser spähten. Vollständigere Fossilfunde von unseren frühen Wirbeltiervorfahren liegen erst u. a. von amphibisch lebenden Dachschädlern (Stegocephalen) aus der Zeit um 370 bis 360 Millionen Jahre vor heute vor. Diese eroberten ausgedehnte Sumpfgebiete, wo sie eiweißreiche Insekten und Pflanzen als Nahrung vorfanden.

Wie oft in der Geschichte der Lebewesen gab es zweifellos auch rund um die Evolution der frühen Tetrapoden viele Entwürfe, die sich später nicht durchsetzten. Das Leben der meisten von ihnen währte daher nur kurz. Sie wurden rasch von moderneren Artgenossen überholt und starben wenige Millionen Jahre nach ihrer Entstehung aus. So geriet auch der Fleischflosser Qikigtania wakei (lebte vor etwa 380 Millionen Jahren) in eine evolutionäre Sackgasse: Er gab den Landgang trotz anfänglicher Entwicklung in diese Richtung schließlich auf.

Gründe für den Landgang

Der Gang an Land war für die Wirbeltiere offensichtlich mit viel größeren Schwierigkeiten verbunden als für die Gliederfüßer. Hoimar von Dithfurt hat ihn mit der Eroberung des Mondes verglichen Der neue Lebensraum brachte eine Reihe von anatomischen und physiologischen Herausforderungen, die nur schrittweise zu meistern waren. Atmung, Fortbewegung, Fortpflanzung und vieles andere mussten neu erfunden werden. Außerdem war ein Schutz vor Austrocknung durch Sonne und Luft erforderlich. Was also bewegte die Ahnen der Landwirbeltiere, trotz aller Schwierigkeiten den Weg aus dem Wasser zu wagen.

Vermutlich war es eine Summe von Faktoren, die vor mehr als 360 Millionen Jahren die Tiere an das für sie unwirtliche Land trieb. Einige Forscher spekulieren, dass Sauerstoffmangel der Hauptgrund war. Da die ersten Gefäßpflanzen die Erosion des felsigen Untergrunds an Land verstärkten und dadurch vermehrt Nährstoffe in die Gewässer spülten, sei es zu Algenblüten gekommen, die den Sauerstoff dort aufzehrten. So mussten die Tiere an die Luft, um an den begehrten Stoff zu kommen. Vielleicht wichen die Vorfahren der Landwirbeltiere auch wachsendem Feinddruck durch räuberische Panzerfische aus – oder bei schrumpfenden Gewässern wachsendem Populationsdruck der Konkurrenz. Am naheliegendsten scheint, dass die Suche nach Nahrung der Hauptantrieb zum Landgang war. Das Nahrungsangebot an Land war auf jeden Fall geradezu paradiesisch; Pflanzenreste oder Gliederfüßer, etwa Skorpione, Tausendfüßer und Spinnen, lockten. Und es gab keine Konkurrenz.

Umgestaltung des Körpers

Viele charakteristische Merkmale der späteren Landwirbeltiere entstanden in Ansätzen bereits im Wasser, so dass die Tiere in einem Klima, das gleichmäßig feucht und warm war, zumindest zeitweise aufs Land vordringen konnten. Im Wasser schwammen sie, auf dem Trockenen robbten sie sich mit ihren Muskelflossen vorwärts. Diese waren aber zunächst noch zu schwach, um sich dauerhaft an Land aufhalten zu können, denn da der Auftrieb durch das Wasser wegfiel, mussten sie hier das gesamte Körpergewicht tragen. Die frühen Tetrapoden entwickelten daher eine kräftige (verknöcherte) Wirbelsäule und gestalteten die Brust- und Bauchflossen) zu tragenden Gliedmaßen (samt Schulter- und Beckengürtel) um. Dabei scheint das Grundmuster von fünf Zehen, das fast alle Landwirbeltiere besitzen, sich am günstigsten erwiesen zu haben, um genügend stabile und dabei doch flexible Knöchel auszubilden, die das Köpergewicht aushalten können und auch ein Ausschreiten erlauben.

Bei Landwirbeltieren besteht bis zu 70% der Körpermasse aus Knochen und Muskeln. Diese verhindern, dass das Körpergewicht die Adern zusammenpresst. Ein Wal z. B. verendet als Lungenatmer an Land, weil er von seinem eigenen Körpergewicht erdrückt wird. Lebewesen an Land verbrauchen bis zu 40% ihrer Stoffwechsel-Energie für den Transport ihres eigenen Gewichts.

Auch etliche andere entscheidende Merkmale der späteren Landwirbeltiere entwickelten sich noch vorwiegend im Wasser. So besaßen frühe Tetrapoden bereits paarige Aussackungen des Schlundraums, worin sie an der Wasseroberfläche aufgenommene Luft speichern und den darin enthaltenen Sauerstoff nach und nach veratmen konnten. Auf diese Weise waren sie in der Lage, auch in austrocknenden und sauerstoffarmen Gewässern zu überleben. Nötig war jetzt nur noch die Umstellung von hilfsweiser zu alleiniger Lungenatmung. Manche Forscher vermuten, dass es – so kurios es klingen mag – nicht die Fortbewegung, sondern der Anpassungsdruck, Luft atmen zu müssen, war, der den allmählichen Umbau vom Wasser- zum Landtier auslöste.

Einer neuen Theorie zufolge hat der radikale Umbau des Fischskeletts in Richtung Landleben mit dem Kopf begonnen. Vermutlich jagten die frühen Tetrapoden im Seichten kleine Fische. Weil seichtes Wasser oft warm und darum sauerstoffärmer ist, gewöhnten sie sich an, über Wasser nach Luft zu schnappen. Dazu benötigten sie wegen der Schwerkraft einen stabileren Schädel und stabile Kiefer. Die Schädelknochen verwuchsen fester, am stärksten die Knochen am Hinterkopf, wo die kräftigen Nackenmuskeln von der Wirbelsäule her ansetzten, mit denen der Kopf angehoben werden konnte. Auch der Unterkiefer gewann durch zusammenwachsende Knochen mehr Stabilität, was wohl auch die vermutete Kehlatmung erleichterte. (Dabei wird die geschluckte Luft aus dem Mundraum wie bei einem Blasebalg in die Lungen gepresst, wie es heute noch Amphibien und luftatmende Fische tun.) Jene Knochen, die bei den Fischen den Schädel mit dem Schultergürtel verbinden, verschwanden. Der Hals wurde muskulös und der Kopf so frei beweglich. Da Luftatmung immer wichtiger wurde, veränderte sich das Kiemenskelett. (Einer seiner Knochen wurde später bei den Landwirbeltieren zu einem Gehörknöchelchen, dem Steigbügel.)

Nach einer weiteren These spielte die visuelle Wahrnehmung für die Besiedlung des Landes eine entscheidende Rolle. Die Augen der Tetrapoden wurden im Laufe der Evolution immer größer. Außerdem wanderten sie von der Seite nach oben zum Schädeldach. Dadurch verbesserten die frühen Vierbeiner ihr Sehvermögen um ein Vielfaches, denn in der Luft erweitert sich der überblickbare Bereich dramatisch. Das dürfte es ihnen erleichtert haben, Wirbellose, etwa Insekten, zu jagen, die sich nahe der Oberfläche des Wassers bewegten.

Vielleicht war es also tatsächlich der Anblick der potenziellen Beute, der die Tetrapoden aus dem Wasser lockte und sie schließlich zwang, ihr Skelett umzubauen und ihre Lebensweise umzustellen. Zudem gab die visuelle Wahrnehmung an Land entscheidende Impulse für die Hirnentwicklung. Während Wasserbewohner wegen der geringen Sichtweite auf schnelle Reflexe setzen müssen, um Beute zu jagen oder Feinden zu entkommen, bieten sich Tiere an Land wesentlich mehr Alternativen, zwischen denen abzuwägen gilt. Dies habe auch, so die Forscher, zunehmend planerische Fähigkeiten erfordert und daher die Entwicklung komplexer Gehirne vorangetrieben.

Amphibien und Reptilien

Jüngste Fossilienfunde zeigen, dass der Übergang von Fischen zu Amphibien nur rund 9 bis 14 (oder vielleicht auch 20) Millionen Jahre dauerte. Die meisten Forscher halten Ichthyostega, einen Dachschädler, für eines der ersten Amphibien. Er lebte vor etwa 365 Millionen Jahren.

Ichthyostega besaß noch einige Anklänge an seine Fischvorfahren, z. B. einen Fischschwanz und Reste eines Kiemendeckels. Am Kopf ist aber bereits ein Ohreneinschnitt vorhanden. (Sein Mittelohr enthielt ein einziges Gehörknöchelchen.) Er hatte vier kurze, stämmige Beine mit Fingern und Zehen und eine massive Skelettstruktur, die es ihm erlaubte, sich an Land zu wuchten. Die Hüfte war zwar fest mit der Wirbelsäule verbunden, aber Gelenke und Gliedmaßen waren geeignet, beträchtliche Spielräume für Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen zu erlauben. Aufgrund der dicken Knochen war er wohl kein schneller Läufer.

Die Amphibien erlebten vor mindestens 350 Millionen Jahren eine Blütezeit. Sie konnten aber nicht in das Innere des Landes vordringen, sondern waren wahrscheinlich noch gezwungen, in kurzen Abständen ein Gewässer aufzusuchen. Als leichten Schutz vor dem Austrocknen durch Sonne und Luft diente lediglich ein Schleimfilm. Wie ihre Fischahnen vollzogen sie Begattung, Eiablage und Entwicklung bis zum erwachsenen Tier noch im Wasser. Sie hielten sich in dessen Nähe auf, fraßen Pflanzen und gingen auf die Jagd.

Die Stickstoffausscheidung konnte an Land nicht mehr durch die direkte Abgabe von Ammoniak in das umgebende Wasser geschehen wie bei den primär wasserlebenden Tieren. (Ammoniak ist für den Körper schädlich, aber gut wasserlöslich.) Die Lösung war die Verbindung des Ammoniak mit CO2 in der Leber (mit Hilfe von Enzymen) zu Harnstoff (CO(NH2)2). Er ist eine sehr gut lösliche und relativ harmlose Substanz, deren Ausscheidung weit weniger von dem jetzt kostbar gewordenen Wasser erfordert als Ammoniak.

Aus einer Gruppe lungenatmender Amphibien (den Labyrinthodontiern) entwickelten sich nach molekularbiologischen Untersuchungen bereits vor 355 Millionen Jahren erste Reptilien, die Cotylosaurier. Sie stehen am Ursprung der zweiten großen Gruppe von Landwirbeltieren, den Amnioten. Bei ihnen verhinderten eine lederartige Haut und Embryonalhüllen der Eier (das Amnion ist die innerste) das Austrocknen der Embryonen während der Entwicklung im Ei. So wurde die Eiablage an Land ermöglicht und ein wassergebundenes Larvenstadium überflüssig.

Da die ledrige Außenhaut der Eier meist sehr schnell zerfällt, war der nächste Entwicklungsschritt die Bildung einer durch kristallines Kalziumkarbonat gehärteten Außenhülle. Sie bot Schutz und mechanische Stabilität für eine störungsfreie und sichere Entwicklung des Embryos. Dessen Versorgung mit Luftsauerstoff ermöglichte eine höhere Stoffwechselrate und damit auch eine schnellere Entwicklung. Vor mehr als 300 Millionen Jahren eroberten die Reptilien das Festland und ebneten den Weg für den Aufstieg der Vögel und Säugetiere, die ebenfalls zu den Amnioten gezählt werden.

Die Reptilien hatten schon einen besseren Verdunstungsschutz gegen Austrocknung: Eine zähe Haut und Hornschuppen, die die verdunstende Fläche der Haut einschränkten. Damit konnten sie sich länger an Land aufhalten und waren bei der Jagd auf Kleintiere im Vorteil.

[Bereits vor etwa 345 Jahrmillionen gab es die ersten Samenpflanzen. Mit ihnen waren Lebensmöglichkeiten geboten, die schnell von Insekten genutzt wurden. Geflügelte Insekten eroberten den Luftraum und beherrschten ihn 100 Millionen Jahre. Unter den günstigen Lebensbedingungen bildeten sich Riesenformen von Schaben, Libellen, Skorpionen und Tausendfüßern aus. Der größte bislang bekannte Gliederfüßer, der einem gigantischen Tausendfüßer ähnelt, dürfte bis zu 2,70 Meter lang und 50 Kilogramm schwer gewesen sein und vor 326 Millionen Jahren im Zeitalter des Karbon (vor ca. 359 bis 299 Millionen Jahren) gelebt haben.]

Die Augen erhielten Lider zum Schutz vor Verletzungen und Drüsen, die ständig Tränenflüssigkeit produzierten, zum Schutz vor Austrocknung. Das Riechsystem stellte sich stark um, denn es war jetzt vorteilhaft, möglichst viele der diversen flüchtigen chemischen Substanzen in der Luft genau identifizieren zu können. Giftiger Stickstoff wurde von den frühen Reptilien in Form von Harnsäure ausgeschieden, die je Molekül doppelt so viel Stickstoff bindet wie Harnstoff. Sie kann auch in übersättigter Lösung, als dicker Brei oder ganz trocken, abgegeben werden – was Wasser spart. Diese Art Stoffwechsel zeigen noch die heute lebenden Kriechtiere und Vögel. Dadurch, dass die Regelung des Wasserhaushalts vorwiegend Aufgabe der Niere wurde und nicht mehr über die Haut erfolgte, war diese in der Lage, Hornschuppen, Panzer und Federn (und bei den Säugern Fell) zu bilden. (Säugetiere scheiden wie die Amphibien Harnstoff aus. Sie haben aber leistungsfähigere Nieren entwickelt, die den Nachteil der geringeren Sauerstoffbindung von Harnstoff gegenüber Harnsäure ausgleicht.)

Amphibien und Amnioten unterscheiden sich auch in der Strategie, wie sie das sog. CO2-Problem lösten. Beim Aufenthalt an der Luft war nämlich nicht die Sauerstoffaufnahme das Problem, sondern die Abgabe von Kohlenstoffdioxid: Kann dieses als Stoffwechselprodukt nicht ausgeschieden werden, übersäuert das Blut. Die Stamm-Tetrapoden haben wahrscheinlich den Sauerstoff über die Luft aufgenommen und das CO2 über die Kiemen abgegeben. Die Amphibien verloren die ursprünglichen Fischschuppen und legten sich eine dünne, feuchte Haut zu, damit über diese der Gasaustausch funktioniert. Die Vorfahren der Amnioten entwickelten Knochenplatten als Verdunstungsschutz und begannen, ihre Lungen durch kräftige Bewegungen des Rippenkorbs zu entlüften. Diese Form der Saugatmung erwies sich als sehr effektiv.

Das Massensterben im Perm, der Zeitepoche vor 299 bis 252 Millionen Jahren, überlebten nur wenige Arten der frühen Amphibien und Reptilien. Diese bildeten den Grundstock, aus dem sich die biologische Vielfalt neu erschuf und aus dem alle modernen Landwirbeltierarten hervorgingen. Die Reptilien übernahmen jetzt geradezu explosionsartig das Ruder. Mit ihren gut ausgebildeten Lungen bemächtigten sie sich rasch der wichtigsten Lebensbereiche und überlebten auch in trockenen und extrem heißen Regionen, zu denen nie zuvor ein Wirbeltier vordringen konnte.

Der evolutionäre Landgang scheint nur einmal in der Geschichte der Wirbeltiere erfolgt zu sein – im Gegensatz zu ihrer mehrfachen Einwanderung ins Wasser. Unter den modernen Knochenfischen sind bis jetzt keine weiteren Formen entstanden, die dauerhaft zu Landtieren geworden sind. Sie blieben notgedrungen Fische, denn da das Land bereits mit Wirbeltieren besetzt ist, verhindern diese wohl eine erfolgreiche Einwanderung ihrer wasserlebenden Vettern.

Der Körperbau der frühen Tetrapoden erklärt, warum wir Menschen heute zwei Arme und zwei Beine haben, fünf Finger an jeder Hand, fünf Zehen an jedem Fuß und einen beweglichen Kopf auf dem Hals. Auch die Entwicklung des menschlichen Embryos, in der wir ein fischähnliches Stadium mit Kiemen und Fischschwanz (bis zur siebten Woche) durchlaufen und unsere Hände und Füße aus flossenähnlichen Strukturen entstehen, bestätigt unsere Abstammung.

REM

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