Homo erectus verlässt Afrika

Die räumliche Mobilität menschlicher Bevölkerungen ist so alt wie der evolutiv neuartige Körperbau der Gattung Homo, der mit allen seinen Anpassungen – insbesondere der damit verbundenen physischen Ausdauer – lange Wanderungen erst ermöglichte. Vielleicht begann alles damit, dass der Frühmensch den Weidetieren nachzog, die durch das stark gegliederte Wettergeschehen in Trocken- und Regenzeiten große Strecken zurücklegen mussten. Das „Mitwandern“ bot die beste Chance für eine nachhaltige Nutzung der Tiere. Interessanterweise entspricht die „Durststrecke“ der Menschen etwa der der Wiederkäuer. Für Raubtiere ist ein Mitwandern ungünstig, da sie ein ausgeprägtes Ruhebedürfnis haben und ihre Jungen nicht mitnehmen können.

Spätestens irgendwann vor etwa 1,9 Millionen Jahren müssen sich Gruppen von Homininen, die dem Homo erectus zugerechnet werden, weiter als jemals zuvor ins Unbekannte vorgewagt haben. Vielleicht folgten sie den Tierherden in ausgedehnte Regionen, vielleicht trieben auch Vulkanausbrüche oder gravierende klimatische Veränderungen diese Menschen weiter. Viele vermuten, dass steigende Populationsgrößen es für einzelne Gruppen notwendig machten, neuen Lebensraum zu erschließen.

Erste Ausbreitungswelle

Homo erectus erweiterte seinen Lebensraum (vermutlich vom heutigen Kenia aus) zunächst auf die damaligen Grasländer im südlichen Afrika, im Kongo-Becken und in der heutigen Sahel-Zone. Die damals dort verbreitete Savannenvegetation dürfte ihm vertraut erschienen sein. Mit der Zeit gelangte er auch immer höher in den Norden des Kontinents und erreichte wohl bald das Mittelmeer. Schließlich verließen die Homininen den afrikanischen Kontinent. Im heutigen Israel fanden Forscher 1,9 Millionen Jahre alte steinerne Artefakte. Vor spätestens 1,8 Millionen Jahren gelangten Gruppen an den Südrand des Kaukasus. Im georgischen Dmanisi, 85 Kilometer Luftlinie südwestlich von Tiflis, wurden 1,8 Millionen Jahre alte menschliche Skelettknochen gefunden, darunter Schädel mit Gehirnvolumina zwischen 546 und 775 cm3.

Die Frühmenschen von Dmanisi sind sogenannte „Mosaiktypen„: Einige ihrer Skelett- und Schädelmerkmale sehen relativ modern aus, andere erinnern an frühere Homininen. Wegen ihres charakteristischen Merkmalsmosaiks, das auch gut zu einer Übergangsform passen könnte, werden sie oft unter dem Namen „Homo georgicus“ geführt. Diese Menschen stellten ihre Werkzeuge noch nach der primitiveren Oldowan-Methode her. Es gibt Hinweise, dass sie gelegentlich Tiere zerlegten, ob selbst erlegt oder Raubtieren abgejagt ist unklar.

Vielleicht kamen die Dmanisi-Menschen auch ins südliche Europa, wo sie bald wieder ausstarben. Einige Gruppen von ihnen könnten nach Südostasien weitergezogen sein. Ein zweiter Hauptstrom der ersten Auswanderer könnte aber auch schon weit vor dem Kaukasus gen Osten abgebogen sein und über die Arabische Halbinsel und den während kälterer Klimaepisoden trocken gefallenen Persischen Golf nach Indien und schließlich bis in den Fernen Osten gelangt sein. Frühmenschen erreichten jedenfalls spätestens vor 1,8 Millionen Jahren die heutige indonesische Insel Java, die in Eiszeiten mit dem asiatischen Festland verbunden war. Hier breitete sich Homo erectus explosionsartig aus und bevölkerte wohl bald auch die Wälder und Steppen Ostasiens. (Sicher belegt ist die Besiedlung Ostasiens aber erst für eine Phase vor etwa 1,1 Millionen Jahren.)

Die menschlichen Fossilien aus jener Zeit auf Java zeigen grundsätzliche morphologische Übereinstimmungen im Schädelbau mit den afrikanischen Fossilien. Sie unterscheiden sich allerdings durch etliche Merkmale vom Homo georgicus, was als Anpassung an unterschiedliche Ernährungsgewohnheiten gedeutet werden kann. Die Trockenzeit fällt auf Java sehr kurz aus, so dass vor allem Pflanzen zum Nahrungsspektrum zählten und eine geringe Notwendigkeit zur Beschaffung von Fleisch bestand.

Die erste Welle der Ausbreitung unserer Urahnen stellt eine beachtliche Leistung dar – vor allem die 14 000 Kilometer lange Wanderung von Ostafrika nach Ostasien. Mit Hilfe einfachster Technologie drang Homo erectus in völlig neue Biotope und Klimate vor und passte sich dort erfolgreich an die lokalen Gegebenheiten an. Die genaue Route dieser großen Wanderungen über viele Generationen hinweg ist immer noch unklar: Es gibt keinerlei Hinweise darauf, ob sie entlang der Flussläufe oder der Küstenlinien verlief oder ob die Menschen den Wanderrouten von Tierherden im Landesinneren folgten.

Zweite Ausbreitungswelle

In den folgenden Hunderttausenden Jahren mögen zwar einzelne Gruppen in wärmeren und feuchteren Zwischenphasen immer wieder mal die mittlerweile bekannten Pfade aus Afrika hinaus beschritten haben, aber der breite Strom der Auswanderer riss auf lange Zeit ab. Denn während der Perioden globaler Abkühlung dehnte sich immer wieder eine gewaltige Wüste zwischen Afrika und Eurasien aus. Unterdessen verbreitete sich Homo erectus nach und nach über große Teile des afrikanischen Kontinents.

Der Unterschied zwischen wärmeren und wesentlich kälteren Abschnitten wurde vor etwa 1,4 Millionen Jahren zunehmend ausgeprägter, so dass sich auch die Lebensbedingungen und die gewohnten Ressourcen oft abrupt veränderten. Eine neue Ausbreitungswelle aus Afrika hinaus ereignete sich vor 1,4 bis 1,0 Millionen Jahren. Diesmal erreichten die Homininen auch Südeuropa. Im südspanischen Orce fand man 1,3 Millionen Jahre alte Steinwerkzeuge. Vor 1,2 Millionen Jahren besiedelten erste Menschen Höhlen und Felsspalten in Nordspanien (Sierra de Atapuerca). Die Auswanderer könnten über die Straße von Gibraltar gekommen sein. Eine Landbrücke zwischen dem heutigen Marokko und Spanien wird zwar ausgeschlossen, aber die Frühmenschen könnten auf einfachen Flößen oder ausgehöhlten Baumstämmen die damals schmale, 5 bis 10 Kilometer breite Wasserstraße (heute 14 Kilometer breit) überquert haben.

Schwer vorstellbar ist auch, dass zwischen Tunesien und Sizilien eine feste Landbrücke bestand. Es gibt dort am Meeresgrund Tiefseebecken und eingeschnittene Täler. Doch scheinen Elefanten und andere Tiere das zentrale Mittelmeer tatsächlich überbrückt zu haben. Vielleicht entstand hier, zumindest in besonders kalten Wintern, eine ähnliche Situation, wie wir sie von der Ostsee kennen. Durch einen weit geringeren Salzgehalt als heute – aufgrund des eingeschränkten Wasseraustauschs mit dem Atlantik bei einem niedrigen eiszeitlichen Meeresspiegel – könnte das Mittelmeer einfach zugefroren sein oder sich durch Packeis eine weit ins Meer hineinreichende begehbare Zone gebildet haben.

Die Anatomie der in Spanien gefundenen Menschen ist so einzigartig, dass ihnen die spanischen Forscher einen eigenen Namen, Homo antecessor (wörtlich: „der Mensch, der vorausgeht“), gegeben haben. Sie waren rund 1,70 Meter groß, besaßen eine niedrige Stirn, kräftige Wülste über den Augen und starke Zähne. Die meisten Paläontologen halten sie für eine Variante vom frühen Homo erectus. Ihre Werkzeuge waren noch primitiv, sie ernährten sich vorwiegend von pflanzlicher Kost und verzehrten Fleisch vermutlich noch roh.

Es hat wohl mehrere Einwanderungswellen bzw. erste Vorstöße nach Europa gegeben, wobei sich manche Populationen eine Zeit lang hielten, viele aber bald wieder verschwanden, wenn die Lebensräume durch Klimaverhältnisse unfreundlich oder sogar nicht mehr bewohnbar wurden. So kehrten Gruppen der Auswanderer auch nach Afrika zurück und vermischten sich wieder mit der dort ansässigen Bevölkerung. Dieses Kommen und Gehen macht die Aufstellung von geraden Entwicklungslinien äußerst schwierig.

Der langbeinige und mit einem großen Gehirn ausgerüstete Jäger Homo erectus (Homo ergaster), der vor ca. 1,8 Millionen Jahren plötzlich in Ostafrika auftauchte, könnte sich sogar aus Rückwanderern aus Westasien entwickelt haben. Vor 1,4 Millionen Jahren scheint Homo erectus dann in Afrika verschwunden zu sein, bis er später hier wieder nachweisbar ist. Gruppen seiner Art zogen dann wieder nach Eurasien.

Immer wieder tauchten vor etwa einer Million Jahren Menschen im europäischen Mittelmeergebiet auf, kamen aber dauerhaft zunächst nicht über die südlichsten Regionen des Kontinents hinaus. So sind Frühmenschen in Ceprano (südlich von Rom), in Südfrankreich (Le Vallonet, nahe Mentaon) und in Nordgriechenland (Höhle bei Petralona) nachgewiesen. In der Grandolina-Höhle in der Sierra de Atapuerca (Spanien) kamen menschliche Knochen und Zähne zutage, die auf mindestens 780 000 Jahre geschätzt werden. Viele Merkmale erinnern stark an den frühen afrikanischen Homo erectus, aber es gibt auch einige moderne Merkmale: So zeigen der flache Gesichtsschädel mit eingesenkten Wangenknochen und vorspringender Nase sowie der Bau des Unterkiefers bereits deutliche Ähnlichkeiten zu anatomisch modernen Menschen. Allerdings gibt es keine Hinweise auf die fortschrittliche Acheuleen-Technologie.

In Asien wurden in Wolo Sege auf der kleinen Sunda-Insel Flores, zwischen Java und Timor gelegen, mindestens 1,02 Millionen Jahre alte Werkzeuge gefunden. Die Insel war auch zu Zeiten niedrigsten Wasserspiegels stets durch mindestens 19 Kilometer offenen Meeres von der Nachbarinsel Sumbawa getrennt. Das bedeutet also, dass die Einwanderung der Frühmenschen nur über das offene Meer erfolgt sein konnte. Demnach musste auch hier Homo erectus bereits über seetüchtige „Fahrzeuge„, z. B. Bambusbündel oder -flöße, verfügt haben. Auf Flores und Timor wurden auch rund 840 000 Jahre alte, grob behauene Steinwerkzeuge gefunden. Interessanterweise gibt es Langzeit-Parallelen bei der Entwicklung der Steinwerkzeuge auf Java und Flores. Daraus folgert man, dass es einen ständigen sozialen Austausch zwischen den Frühmenschen auf der Insel und denen auf dem Festland gegeben haben muss.

Vom Homo erectus stammen wahrscheinlich auch die zwergförmigen Flores-Menschen (Homo floresiensis) ab. Sie könnten späte Nachfahren des frühen Homo erectus sein, der vor über einer Million Jahren die Küste Indonesiens und die Insel Java erreichte und sich dann isoliert von anderen Artgenossen zu einer eigenständigen Form entwickelte.

Interessanterweise hat sich die Acheuleen-Technologie niemals bis nach Ostasien ausgebreitet. Homo erectus ging hier weitgehend seinen eigenen Weg, unabhängig vom Geschehen in der übrigen Welt. Vermutlich gestalteten die frühesten Ostasiaten ihre Werkzeuge zumeist aus Holz oder Bambus. Aus der Zeit vor etwas mehr als 800 000 Jahren sind in China große Steinwerkzeuge (symmetrisch bearbeitete Schneidewerkzeuge) belegt. Sie ähneln dem bekannten Faustkeil, weisen aber auf eine eigenständige Kultur hin.

Von einem mutmaßlichen Homo erectus , der vor etwa 500 000 Jahren im Raum Peking lebte (Peking-Mensch), fand man in Höhlen Holzkohle (Feuer!), Quarzitspitzen zum Schärfen von Speeren und Äxte zum Fällen von Bäumen. Die gefundenen Schädel hatten bereits ein Gehirnvolumen von durchschnittlich knapp 1100 cm3, bei allerdings großer Streuung. Der Peking-Mensch starb frühestens vor 230 000 Jahren aus. Auf Java lebte Homo erectus nach einer neueren Studie (Fundort Ngandong) noch bis vor 117 000 bis 108 000 Jahren. Wahrscheinlich starb er als eine lokale Art in anderen abgelegenen Gebieten noch viel später aus (wie z. B. die Zwergformen Homo floresiensis oder Homo luzonensis auf Inseln). Ob der asiatische Homo erectus auch wieder ins westliche Europa vorgestoßen ist, ist noch unklar.

Homo heidelbergensis

Wärmere Phasen erlaubten mehrfach ein Vordringen von Urmenschen auch in die nördliche Gebiete Westeuropas. In der Nähe von Worms (Westdeutschland) und bei Happisburgh (im Osten Englands) wurden 800 000 bzw. 780 000 Jahre alte Steinwerkzeuge gefunden. An der Themsemündung stieß man auch auf die bislang ältesten Fußspuren von Menschen außerhalb von Afrika: geschätzt 700 000 Jahre alt. Verbesserte Werkzeuge, eine hohe Flexibilität, ein ausgeprägtes Sozialverhalten und die Fähigkeit, Feuer zu machen und zu beherrschen trugen dazu bei, dass die frühen Menschen immer weiter in kältere Klimazonen vordringen konnten. Eine nennenswerte und kontinuierliche Besiedlung im Norden Europas fand aber erst vor 600 000 bis 500 000 Jahren statt.

Die neuen Menschenformen, die sich in Europa, Afrika und Westasien herausbildeten und hier bis vor etwa 200 000 Jahren lebten, werden vorläufig als Homo heidelbergensis bezeichnet, zunehmend auch Funde, die bisher als Relikte des frühen Neandertalers galten. Vielleicht stammt dieser Menschentyp vom Homo antecessor ab. Da aber auch in Afrika Fossilien gefunden wurden, die dem Heidelberger Typ entsprechen – z. B. ein 600 000 Jahre alter Schädel aus Bodo / Äthiopien – glauben viele Paläoanthropologen, Homo heidelbergensis habe sich zuerst in Afrika aus einer dortigen Form des Homo erectus entwickelt und sei dann nach Europa vorgedrungen. Homo antecessor wäre in diesem Fall lediglich ein fehlgeschlagener erster „Ausflug“ einer früheren afrikanischen Menschenform nach Europa gewesen, die wieder verschwand und keinen Nachkommen hinterließ – quasi ein Irrläufer der menschlichen Evolution.

Vor rund einer halben Million Jahren verstärkten die Kaltphasen der Eiszeiten die Isolierung Europas noch weiter. Die Eisdecken dehnten sich über dem Nordwesten des Kontinents und den Hochgebirgen aus. Die Landschaftsarten, die sich heute zwischen Nordskandinavien und dem Mittelmeer erstrecken, drängten sich auf dem Höhepunkt der Kaltzeiten zwischen dem heutigen Belgien und Spanien zusammen. Gleichzeitig sank der Meeresspiegel, so dass entlang der Küsten neuer Lebensraum hinzukam: Ärmelkanal, Nordsee und nördliche Adria lagen trocken.

Tundra-Verhältnisse in Mitteleuropa bedeuteten eine trockene Kälte mit hoher Sonneneinstrahlung. Die Sommer waren warm und angenehm, die Winter aber streng – ein Klima, das insgesamt den Ansprüchen der Menschen zuträglicher ist als das heutige Klima in unseren Breiten mit reichlich Niederschlägen. Die Tundra war reich bewachsen; die Pflanzen enthielten viele wertvolle Mineralstoffe. Dies war eine der Ursachen für den ungeheuren eiszeitlichen Tierreichtum und machte erst die Größe der Tiere und ihre Fähigkeit, den eiszeitlichen Winter zu überstehen, möglich. Der höhere Fettgehalt im Fleisch sorgte auch bei den Homininen für einen wichtigen „Brennstoff“ gegen die Winterkälte; die Mineralien, vor allem die reichliche Versorgung mit Phosphorverbindungen, sorgten für den weiteren Aufbau des menschlichen Gehirns. Dessen Volumen erreichte beim Homo heidelbergensis bereits 1200 bis 1300 cm3.

Mit Beginn des Mittelpleistozäns vor rund 400 000 Jahren gab es zusätzlich zu den großen, periodisch wiederkehrenden Klimaschwankungen der eigentlichen Eis- und Zwischeneiszeiten wohl auch während der einzelnen Warmzeiten etliche kurze, durchaus heftige Einbrüche. Wie die Evolution der Homininen in Afrika stark von lokalen wie von globalen Klimaumschwüngen beeinflusst war, mit denen eine Ausbreitung oder Rückbildung der Wald-, Savannen- oder Wüstenregionen einherging, so gab es auch für die damalige europäische Entwicklung des Menschen mit den stark wechselnden Klimabedingungen vergleichbare Ursachen. Es bildeten sich verschiedene Lokalpopulationen mit ganz bestimmten Merkmalskomplexen und Fähigkeiten heraus. Trafen diese Gruppen nach einiger Zeit bei ihren Wanderungen wieder aufeinander, ergab sich die Gelegenheit, Wissen und Gene auszutauschen.

Schließlich vermochte Homo heidelbergensis mit seinen Fertigkeiten (von verbesserter Werkzeugherstellung über Kochen bis zum Bau von Behausungen) die Natur effizienter auszubeuten als seine Vorfahren. Er kannte bereits die Werkstoffeigenschaften von Steinen, Knochen und Geweihen und verwendete Zahnbein und Holz und wahrscheinlich auch andere organische Stoffe. Diese Menschen waren überwiegend Rechtshänder und benutzten bei manchen Beschäftigungen, z. B. beim Bearbeiten von Fellen, das Gebiss als „dritte Hand“.

Funde von zahlreichen seiner Rastplätze belegen, dass Homo heidelbergensis schon ein geschickter Großwildjäger mit perfektionierten Waffen gewesen sein muss, noch erfolgreicher als seine Vorgänger. Die älteste bekannte unzweifelhafte Jagdwaffe ist eine Stoßlanze aus Clacton (England), die das Töten von Großwild, wenn auch nur aus nächster Nähe, erlaubte. Auch Geweihhacken könnten als Jagdgeräte gedient haben. Für die Jagd auf Wasservögel wurden Wurfstöcke (Wirbelhölzer) benutzt.

Die Gefahren für den Jäger, die vom gejagten Großwild ausgingen, waren allerdings beträchtlich und wurden erst mit der Erfindung des Wurfspeers vermindert. Zumindest der späte Homo heidelbergensis verstand es, Speere mit praktisch perfekten Wurfeigenschaften herzustellen. Am Nordrand des Harzes (Schöningen / Deutschland) fand man zweieinhalb Meter lange Speere, die so ausbalanciert waren wie heutige Sportspeere und mit denen sich treffsicher einige Dutzend Meter weit werfen ließ. Auf dem zwischen 370 000 und 290 000 Jahre alten Jagdplatz fand man neben den Speeren auch Skelettreste von mindestens zwanzig Pferden (Hengste, Stuten, Fohlen).

Um bei der Jagd erfolgreich zu sein, musste Homo heidelbergensis die gesamte Natur beobachten. Er musste die Jahreszeiten genauestens kennen, über präzise Ortskenntnis verfügen und grundlegendes Wissen über das Verhalten der Tiere haben. Insbesondere die Großwildjagd stellte hohe Anforderungen an geistige Beweglichkeit, Reaktionsvermögen und soziale Kommunikation. Diese Menschen mussten also nicht nur Situation blitzschnell erfassen, sondern sich untereinander auch rasch verständigen können. Schnelle und kräftige Wildtiere, wie z. B. Pferde, konnten wohl nur von Menschen erlegt werden, die in Gruppen organisiert waren und sprachlich miteinander kommunizierten. Daher gilt heute als sicher, dass bereits Homo heidelbergensis eine Sprache entwickelt hatte. Wir wissen allerdings nicht, wie komplex die Sprache war.

Vor 370 000 Jahren hatten Vertreter des Homo heidelbergensis eine kleine Siedlung beim heutigen Bilzingsleben (Thüringen) angelegt, die sie immer wieder eine Zeitlang (vielleicht sogar über mehrere Jahre) bewohnten. Sie war in Wohn-, Arbeits- und andere Aktivitätsbereiche untergliedert, was auf eine soziale Organisation hindeutet. Die größte Sensation ist ein fast runder Platz von neun Metern Durchmesser am Rande des Lagers, zu dem eine gerade Reihe aus großen Steinbrocken führte. An deren Anfang grub man zwei 1,80 Meter große Elefantenstoßzähne aus, die wahrscheinlich ursprünglich aufrecht standen.

Der Platz selbst war dicht mit Steinen und flachen Knochenstücken gepflastert und frei von jeglichen alltäglichen Sachen. Offensichtlich nahm das Areal im Alltagsleben der Gruppe eine herausragende Stellung ein. In der Mitte dürften auf Steinplatten Feuer entfacht worden sein. Auf einem Quarzitblock, der zwischen den Hornenden eines in das Pflaster eingelassenen Wisentschädels steckte, wurden Knochen zerschlagen. Man fand auch mehrere menschliche Schädelfragmente, möglicherweise Anzeichen für ein Ritual.

In der Zeit des Homo heidelbergensis wurden vielfach die Schädel Verstorbener an Lagerplätze gebracht und eine Zeitlang aufbewahrt. Die Schädel der Pferde in Schöningen waren nicht zerschlagen – ein Erstbefund in der Altsteinzeit -, was auf eine ehrfurchts- und respektvolle Behandlung des erbeuteten Wildes oder eventuell auch auf ein Ritual hindeuten könnte.

Auf dem Platz in Bilzingsleben fand man auch eine besondere Art von Faustkeil, der nicht aus Feuerstein war und zudem so groß und schwer, dass er nicht zum Zerteilen von Tieren oder Zerhacken von Pflanzen hergestellt worden sein konnte. Er diente möglicherweise als Statussymbol. Auch in einer spanischen Höhle (Sima de los Huesos) hatte man einen aus wertvollem Material (rotem Quarzit) hergestellten Faustkeil gefunden, der offensichtlich bei der Bestattung einem Gruppenmitglied mitgegeben wurde.

Die Gedanken des Homo erectus reichten offensichtlich weit über die notwendigsten alltäglichen Verrichtungen der Existenzsicherung hinaus. Nicht erst Homo sapiens erfand also die menschliche Kultur, symbolisches Denken, planvolles Handeln und Sprache. Die Grundsteine dazu hatte der Homo erectus schon längst gelegt. Der Urgeschichtler Hansjürgen Müller-Beck geht davon aus, „dass mit Sicherheit bereits vor 400 000 Jahren der Schritt zu einem Menschen vollzogen worden war, der sich in seinen Möglichkeiten von uns nicht mehr grundsätzlich abhebt“.

Unklare Verhältnisse

Eine Geschichte des Menschen, die vor allem auf Anatomie und Knochen aufbaut, weist leider zahlreiche Lücken und Irrtümer auf und vermittelt im Detail bestenfalls ein diffuses Abbild dessen, was einst eine verwickelte Abfolge von Ereignissen gewesen sein muss. Das liegt zum Einen daran, dass auf einige tausend Generationen rein statistisch betrachtet lediglich ein einziger Fund kommt. Des Weiteren sind viele morphologische Merkmale individuell sehr variabel und lassen sich nicht einfach als vorhanden oder nicht vorhanden klassifizieren. Parallelentwicklungen und Umkehrungen von Merkmalsausprägungen sowie Rückbildungen können ebenso in die Irre führen und die Einordnung von menschlichen Fossilien letztlich sehr verkomplizieren.

Offensichtlich zeichnete sich Homo erectus durch eine große anatomische Vielfalt aus. Aus diesem Grunde haben einige Paläoanthropologen separate Artnamen vergeben: Homo ergaster, Homo georgicus, asiatischer Homo erectus, Homo antecessor, Homo heidelbergensis. Es scheint aber keinen Sinn zu machen, die unterschiedlichen Populationen des Homo erectus als eigene Arten zu führen. Die Forscher verweisen auf eine zu erwartende große Variation bei lange Zeit und weit verstreut existierenden Formen hin. Vor allem die zunehmende räumliche Trennung der Populationen und eine gewisse Anpassung an die örtlich vorherrschenden Verhältnisse führten zur Entwicklung regionaler Menschenformen. Aber selbst innerhalb derselben lokalen Fortpflanzungsgemeinschaft ist das Gemisch aus alten und moderneren Merkmalen oft verwirrend.

Für die Wissenschaftler ist es schwierig, DNA unserer Vorläufer zu finden, da sich das Molekül unter den damaligen Klimabedingungen im Laufe der langen Zeit schnell zersetzte. Allerdings ist es Forschern inzwischen gelungen, aus dem Zahnschmelz eines Homo heidelbergensis Erbgutinformationen zu erhalten. Danach könnte er eng mit dem gemeinsamen Vorfahren von Denisovaner, Neandertaler und Homo sapiens verwandt sein. Die gemeinsamen Eigenschaften dieser Homininenarten sind also womöglich noch früher entstanden, als wir bislang vermutet haben. Der Vorfahr könnte ein Homo heidelbergensis gewesen sein, der nach Afrika zurückkehrte, sich aber später wieder in Eurasien ansiedelte.

Eine klare Grenzziehung zwischen Homo heidelbergensis und Neandertaler anhand der Schädel- und Skelettmerkmale ist nicht möglich, da auch die Fossilien aus dieser Periode individuell verschiedene, mosaikartige Muster aus alten und fortschrittlicheren Merkmalen besitzen. Vor etwa 400 000 Jahren sollen jedenfalls Neandertaler und Denisovaner schon getrennte Wege gegangen sein, wobei sich Letztere vor allem in Ost- und Südostasien ausbreiteten, bevor Homo sapiens dort auftauchte. Dieser hat sich, davon gehen die meisten Forscher nach den vorliegenden afrikanischen Menschenfossilien aus, weitgehend unabhängig von den Kolonisten des Nordens in Afrika aus dem (afrikanischen) Homo erectus über den archaischen Homo sapiens zum modernen Typ entwickelt, bevor auch er den Kontinent verließ.

REM

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