Das Standardmodell des heißen Urknalls kann eine Reihe von Eigenschaften unserer Welt nicht recht erklären. Warum pflanzt sich das Licht im Durchschnitt geradlinig im Universum fort? Oder anders gefragt: Warum ist der Raum in seinen drei Dimensionen fast völlig „flach„, wie wir es aus dem Alltag gewohnt sind? Ein flaches All stellt nämlich gemäß Relativitätstheorie ein eher unwahrscheinliches Ergebnis der Entwicklung dar; das All könnte genauso gut mehr oder weniger stark gekrümmt sein.
Und warum ist das Universum äußerst gleichförmig, obwohl weit entfernte Regionen früher nicht in Kontakt – oder, wie die Physiker sagen, in „kausaler Verbindung“ – standen und keine Gelegenheit hatten, sich zu durchmischen? Wie konnten sie sich dann derart gleich entwickelt haben? Und wie kam es andererseits zu den charakteristischen kleinen Inhomogenitäten, aus denen letztendlich Strukturen wie Galaxien und Galaxienhaufen entstanden sind?
(3.) Inflation
Um die genannten Fragen in der Standardtheorie zu beantworten, schufen Wissenschaftler eine komplizierte Theorie, die Theorie der Inflation (lat. „inflatio“ = Aufblähung), wobei sie die Kosmologie mit Ideen der Teilchenphysik verbanden. Dazu nutzten sie eine mögliche Lösung der Einsteinschen Gleichungen aus, indem sie an diese Stelle eine Einwirkung der Quantenmechanik einbrachten. Dadurch konnte erklärt werden, wie Quantenprozesse das Universum wild aufgeblasen haben, bevor es zu der gemächlichen Form der Expansion kam, wie wir sie heute beobachten.
Die Inflationstheorie geht davon aus, dass am Anfang das Universum auf subatomarer Größe zusammengepresst war und eine hohe Symmetrie hatte, wie die Astronomen sagen, also einfach und regelmäßig war – ein Raum, nahezu frei von Materie, aber beherrscht von einem Energiefeld (Quantenfeld), wahrscheinlich dem sogenannten Inflaton-Feld. Dieses gilt als die treibende Kraft für die exponentielle kosmische Expansion, die weniger als eine Billionstel Sekunde nach dem hypothetischen Ausgangspunkt des Universums (dem Urknall) stattfand.
Als ein Skalarfeld ist das Inflaton-Feld viel einfacher als beispielsweise ein elektrisches Feld, denn es wird an jedem Ort im Raum durch eine einzige Zahl, seine Stärke an genau diesem Ort, beschrieben. Im Gegensatz dazu besitzt ein Vektorfeld, etwa das elektromagnetische Feld, Magnetfelder oder die Windstärke, an jeder Stelle neben einem Zahlenwert, der Feldstärke, auch noch einen Richtungswert. (Beispiele für Skalarfelder sind z. B. Temperatur und Druck. Ein konstantes Skalarfeld, z. B. konstanter Luftdruck, ähnelt einem Vakuum: Wir erkennen es nicht, selbst wenn wir davon umgeben sind.)
Das Universum befand sich im ersten Moment seiner Existenz in einem energetisch keineswegs optimalen Zustand – es hatte noch kein Gleichgewicht gefunden. Die Astrophysiker sprechen von einem „falschen Vakuum„. Durch die Änderung der Eigenschaften des Vakuums unmittelbar nach dem Urknall wurde die anfängliche Symmetrie gebrochen. Das Quantenfeld zerfiel spontan und das „echte“ Vakuum entstand (ein neuer Zustand, in dem sich unser Universum seither befindet). Dabei wurde Energie frei, die – mit den passenden Eigenschaften ausgestattet – zu der gravitativen Abstoßung führte, welche das Universum für kurze Zeit mit exponentiell wachsender Geschwindigkeit buchstäblich auseinanderfliegen ließ. Es blähte sich explosionsartig auf makroskopische Dimensionen auf.
Zwei beliebige Raumpunkte vergrößerten dabei ihren Abstand mit zunehmendem Tempo, schließlich sogar über die Lichtgeschwindigkeit hinaus. Dies ist keineswegs ein Widerspruch zur Speziellen Relativitätstheorie, der zufolge sich kein materieller Gegenstand schneller als Licht zu bewegen vermag. Denn während der Inflation expandierte der Raum selbst mit Überlichtgeschwindigkeit. Dabei verloren einst zusammenhängende Gebiete ihre Verbindung. Erst nach dem Ende der Inflation vermochte das Licht die langsamere Standard-Expansion gleichsam zu überholen und Informationen zwischen vorher separaten Gebieten zu übertragen. Wegen der beschleunigten Expansion ist das heute beobachtbare Universum immer noch nur ein winziger Ausschnitt eines sehr viel größeren Universums.
Die Inflation hat zahlreiche Merkmale des ganz frühen Universums ausgelöscht. Wir können daher nicht nachprüfen, was vorher war. Ungleichmäßigkeiten des Raumes, z. B. in der Energieverteilung und in der Verteilung von Materie wurden beseitigt („verschmiert“). Unser Universum erscheint deshalb heute glatt und gleichförmig.
Aber das Universum ist nicht perfekt homogen, da durch Quantenfluktuationen* entstandene (fluktuierende) Teilchen durch die rapide Expansion innerhalb kürzester Zeit so weit auseinander gezogen wurden, dass sie sich nicht mehr gegenseitig vernichten konnten. Dadurch wandelten sich viele virtuelle Teilchen in reale Teilchen um. Die potentielle Energie des berstenden Inflatonfelds hat sich also beim Übergang vom „falschen“ ins „echte“ Vakuum in eine Kaskade von Elementarteilchen verwandelt – die Geburt der Materie- und Energieformen, die heute das Universum erfüllen: Heiße, gewöhnliche Materie Dunkle Materie und Strahlung.
*Quantenfluktuationen treten als Folge der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation im Raum (Vakuum) auf, wobei scheinbar aus dem Nichts spontan Teilchen und deren Antiteilchen erzeugt werden, die sich in Sekundenbruchteilen wieder gegenseitig vernichten.
Kleine Unregelmäßigkeiten in der Verteilung der Teilchen wurden durch die rapide Expansion enorm vergrößert. Die dichteren Bereiche wurden zu Keimen von Sternen und Galaxien. Die Teilchen, aus denen die heutigen Galaxien, Sterne und Planeten bestehen, sind also die Reste des Übergangs von einem Vakuumzustand zum anderen, der kurz nach dem Urknall die Brechung des Symmetrie veranlasste. Sollte die Theorie richtig sein, dann wären wir selbst – genauer: die Materie, aus der wir bestehen – ein Produkt des Vakuums.
Wegen der Fluktuationen gab es am Ende der Inflation in verschiedenen Raumregionen auch Temperaturunterschiede: Wo die Materie etwas dichter war, wurde es etwas wärmer. Durch die Dichteunterschiede in der Urmaterie wurde so das Temperaturmuster in der heute gemessenen Hintergrundstrahlung erzeugt. Außerdem mussten die Wellenlängen von Gravitonen, den hypothetischen Teilchen der Schwerkraft, von mikroskopischen auf makroskopische Größenordnungen ausgedehnt worden sein und dabei ein Spektrum von Gravitationswellen erzeugt haben, das bis heute die Bedingungen in jenen ersten Momenten des Urknalls widerspiegelt. Sollte man diese ursprünglichen Gravitationswellen entdecken, könnten sie uns ein direktes Signal vom physikalischen Zustand des ganz frühen Universums vermitteln.
Wie lange die rasante Inflation währte, ist von Modell zu Modell verschieden. Die jedenfalls sehr kurze Phase (wohl zwischen 10-34 und 10-36 Sekunden) endete mit dem Beginn der Expansion des Weltraums gemäß dem Kosmologischen Standardmodell, eine Phase mäßiger, sich zunächst verlangsamender Ausdehnung, in deren Verlauf sich die Materie zu den bekannten kosmischen Strukturen verdichtete.
Bedeutung der Theorie der Inflation
Das jähe, exponentielle Aufbäumen des Universums kurz nach dem Urknall ist eine überzeugende Idee und die von den meisten Kosmologen akzeptierte Theorie. Das erstmals 1981 vorgeschlagene Szenario glänzt in seinen Grundzügen durch Einfachheit und Eleganz. Man benötigt keine Effekte der Quantengravitation, keine Phasenübergänge, keine Unterkühlung, nicht einmal die Standardannahme, dass das Universum ursprünglich heiß war. Die Inflation ist kein exotisches Phänomen, sondern vielmehr ein allgemeines Phänomen, das ganz zwanglos in einem weiten Bereich teilchenphysikalischer Theorien auftritt. (In der Stringtheorie und anderen „Großen Vereinigungstheorien“ der Naturkräfte treten Skalarfelder zu Hunderten auf.) Im chaotischen Urzustand des Kosmos gab es gewiss ein Raumgebiet, wo eines dieser Felder die Bedingungen für die Inflation erfüllte.
Die Theorie der Inflation vermag eine Vielzahl von Beobachtungen präzise zu erklären, die sonst unlösbare Probleme aufwerfen, und erklärt einige Aspekte des Standardmodells, die ansonsten als Anfangsbedingungen hingenommen werden müssten.
- So erklärt die Theorie die so gleichmäßige Ausdehnung (Expansion), wie sie sich heute noch messen lässt.
- Die riesige Menge an Materie im Universum (rund 1090 Atome) liegt genau in derselben Größenordnung wie die Volumenzunahme in der Inflation, was zur Erklärung der Teilchenzahl eine Rolle spielen könnte.
- Exotische Relikte (z. B. magnetische Monopole, eindimensionale Strings, usw.) würden nach der Theorie „weginflationiert“. Sie tauchen in manchen Fundamentalphysik-Theorien auf, werden aber tatsächlich nicht beobachtet.
- Die Inflation erklärt die extreme großräumige Gleichförmigkeit des beobachtbaren Universums (überall und in allen Richtungen) und seine „flache“ Geometrie, welche als zufällige Anfangsbedingung extrem unwahrscheinlich ist, aber notwendig, um die beobachtete Entwicklung des Universums zu erklären.
- Die winzigen Temperaturunterschiede in der kosmischen Hintergrundstrahlung haben genau die Stärke und räumliche Verteilung, die die Inflationstheorie voraussagt.
- Amplitude und Form der großräumigen Materiefluktuationen stimmen einigermaßen mit dem erwarteten Vergrößerungseffekt überein, den die Inflation auf das Quantenvakuum ausgeübt haben sollte.
Das Inflationsmodell hat inzwischen so viele Tests und indirekte Überprüfungen bestanden, dass es alle konkurrierenden Hypothesen aus dem Feld geschlagen hat. In allen Fällen widerspricht die Inflation auch nicht dem Satz von der Energieerhaltung. Wegen ihrer großen Erklärungskraft gilt die Theorie fast schon als „Erweiterung“ der Standardtheorie vom sehr frühen Universum.
Der Hauptunterschied zwischen der inflationären Theorie und der alten Kosmologie wird deutlich, wenn man die Größe des Universums am Ende der Inflationsphase berechnet. Die Zahlen hängen zwar von den verwendeten Modellen ab, doch liefern die meisten einen Wert, der höher ist als der Radius des beobachtbaren Universums. Der Kosmos muss demnach viel gigantischer sein, als bislang gedacht – und das beobachtbare Universum nur ein winziger Ausschnitt davon.
Inzwischen gibt es Hunderte konkurrierender Modelle mit verschiedenen Versionen der Inflation, die zu höchst unterschiedlichen Universen führen. Direkt aus der Quantenphysik einer beschleunigten Expansion führt die Möglichkeit, dass die Inflation ewig andauert und nur lokal aufhört (in einem neuen Urknall). „Die Inflation ist dann in gewisser Weise nicht ein Teil des Urknalls, wie früher gedacht, sondern der Urknall ist ein Teil des Szenarios der kosmischen Inflation. “ (Andrei Linde) Anders ausgedrückt: Die Inflation wäre also nicht die Folge des Urknalls, sondern seine Ursache. Und es müssten unzählige weitere Universen „neben“ unserem existieren, die jeweils mit ihrem eigenen Urknall begonnen haben und in denen völlig andere, ja beliebig andere Verhältnisse – je nach Stärke des Inflatons – herrschen könnten.
In einem solchen langsam expandierenden Blasen-Universum entsteht dort, wo die Inflation lokal aufhört – gewissermaßen durch einen neuen Urknall – eine neue Blase, sprich ein neues Universum. Somit bilden sich unzählige, voneinander getrennte Tochter-Universen und vergehen wieder, während sich die kosmische Inflation „global“ in alle Ewigkeit fortsetzt. Auch unser beobachtbares Universum wäre dann nur eine Blase neben vielen anderen in diesem Multiversum. Sein Urknall würde sich demnach auf ein lokales Ereignis vor etwa 13,82 Milliarden Jahren reduzieren, als aus einem anderen Universum (Eltern-Universum) unser Universum geboren wurde.
Einwände
Die Vielfalt der Inflations-Modelle erscheint verwirrend, und kein Modell hat bislang breite Anerkennung gefunden. Nach Berechnungen einiger Theoretiker wäre ein flaches Universum – als Ergebnis einer Periode beschleunigter Expansion – erst einmal sehr unwahrscheinlich. Daher berufen sich einige Forscher auf das Anthropische Prinzip, dass nämlich unser Universum so geschaffen sein muss, dass – oder sogar: damit – Beobachter existieren können, um es zu beobachten. Unsere Weltraum-Insel sei also zwar sehr untypisch, biete aber die Voraussetzungen für die Entstehung von Leben und Intelligenz. (Die meisten Blasen-Universen hätten vermutlich keine Sterne und Planeten. Aber wenn alles Mögliche realisiert werden kann, brauchten wir uns nicht zu wundern, dass wir in einem lebensfreundlichen Universum leben.)
Trotz der immer stärker werdenden Argumente für die Inflation mehren sich auch die Einwände. Die kosmologischen Daten haben zwar die wichtigsten Aussagen der Inflations-Theorie verifiziert, sie bestätigen aber nur die Vorhersagen, denen zufolge die Inflation zu einem Ergebnis führt, das den Gesetzen der klassischen Physik gehorcht. Die Elementarteilchentheorie, auf der die inflationären Theorien beruhen, ist aber selbst noch nicht frei von Unsicherheiten. Die physikalische Unterfütterung der Inflationsmodelle lässt also einiges zu wünschen übrig. Zwar beruhen die Modelle zum großen Teil auf bekannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten, weiten deren Gültigkeit jedoch in Richtung noch unerforschter, extrem hoher Energien aus.
Es gibt keine Möglichkeit, die tatsächlichen Randbedingungen für die Inflation aus ersten Prinzipien zu errechnen. Die Überlegungen dazu beruhen allesamt auf groben Vereinfachungen und umstrittenen Abschätzungen. Wir wissen also nicht einmal, welche Quantenfelder an der Inflation beteiligt waren, oder was das Inflaton eigentlich ist, woher seine gewaltige potenzielle Energie kommt und welche Prozesse bei den enorm hohen Energien ablaufen. Die inflationäre Energie ist eine reine Hypothese, für die es kein direktes Indiz gibt.
Nach wie vor müssen bestimmte Bedingungen präzise erfüllt sein. So muss der kleine Bereich, aus dem das Universum entstanden ist, wirklich homogen sein. Sonst müssten sich bestimmte Inhomogenitäten während der jähen Expansion vergrößert haben und wir hätten heute ein stärker strukturiertes, anisotropes (in verschiedenen Richtungen unterschiedliches) und mit Rotation versehenes Universum, was de facto nicht der Fall ist. Der Inflationsprozess muss außerdem gerade lang genug sein und mit genau der richtigen Rate abgelaufen sein, um ein Universum zu bilden, in dem Sterne und Galaxien entstehen können. Ein kürzerer, weniger intensiver Inflationsschub würde das frühe Universum in einem zu chaotischen Zustand hinterlassen, womit es in Gefahr schweben würde, rasch wieder zurück zu kollabieren; ein längerer, intensiverer Inflationsschub hätte den Inhalt des frühen Universums so sehr verdünnt, dass sich nie Sterne oder Galaxien hätten bilden können. Dieses „Feinabstimmungsproblem“ wird im Allgemeinen als die größte Schwierigkeit der Inflation angesehen.
Die Inflationstheorie gilt daher weiterhin als keineswegs gesichertes Wissen. Sie ist keine präzise Theorie, sondern eher ein Szenario, eine pure Annahme, in der viele Details bis heute rätselhaft sind. Neue Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung wecken zudem Zweifel am gängigen Inflationsmodell. (Allerdings gibt es auch einige Modelle, die solche Merkmale voraussagen.) Was fehlt, ist ein direkter Nachweis, dass die Inflation tatsächlich stattfand, sowie Aufschluss über die ihr zu Grunde liegende Physik. Die Entdeckung ursprünglicher Gravitationswellen wäre hier eine große Hilfe. Diese wurden aber bisher noch nicht beobachtet.
Alternativen zum Inflationsmodell
Alles ist also noch sehr spekulativ und unvollständig. Man weiß immer noch nicht genau, wann und wie die Inflation begann, wie lange sie gedauert und warum sie aufgehört hat. Angesichts der Probleme fragen sich manche Forscher ernsthaft, ob eine Inflation überhaupt je stattgefunden hat und das Universum seinen gegenwärtigen Zustand nicht auch ohne Inflation erreichen konnte. So hat die Inflationstheorie – trotz des großen Erfolgs ihrer Szenarien – inzwischen Konkurrenz von neuen, anderen Theorien und kosmologischen Modellen bekommen, die ohne Annahme wie Dunkle Materie, Dunkle Energie und Inflation auskommen. Vor dem Hintergrund der Stringtheorie wurden bereits einige Alternativen entwickelt.
Stephen Hawking hatte schon 2008 erwogen, dass der Urknall womöglich nicht der absolute Anfang von allem, sondern nur der Übergang von einem früheren Universum gewesen sein könnte. Statt des vermeintlichen Urknalls habe ein Urprall (engl.: Big Bounce) stattgefunden, mit dem vor etwa 13,82 Milliarden Jahren eine noch frühere kosmologische Periode in die gegenwärtige Expansionsphase überging – als Teil eines ewigen Zyklus von Erschaffung und Vernichtung. Dabei kann eine vorausgehende, Milliarde Jahre währende, langsame Kontraktionsphase wie eine plötzliche Explosion wirken und für ein glattes und flaches Universum sorgen: Die Materie hätte dann schon lange vor Beginn der Expansion viel Zeit gehabt, sich gleichförmig zu arrangieren. Die Kontraktion vor dem Urknall kann somit das leisten, wozu die Inflation ursprünglich erfunden wurde. Die Annahme eines bislang unbekannten Inflatonfeldes wäre nicht nötig, um die Inflation anzutreiben.
Arbeiten von Steinhardt, Turok und anderen beschrieben 2017 erstmals im Rahmen der Schleifen-Quantenkosmologie im Detail, wie das Universum von der Kontraktion zur Expansion übergehen konnte, und konstruierten so eine vollständige Urprallkosmologie. Nach dieser sogenannten Zyklischen Theorie geht die Expansion nach rund einer Billion Jahren in eine Kontraktion über. Und diese führt dann über einen neuen Rückprall wieder zur Expansion, die mit der Erzeugung von Materie und Strahlung einhergeht.
Die Inflation geht in diesem Modell ganz natürlich aus der atomaren Beschaffenheit der Raumzeit hervor. Die Beschleunigung tritt automatisch auf. Entscheidend ist, dass die Glättung des Universums vor dem Urknall stattfindet – während der Kontraktionsphase. Alle Ausreißergebiete schaffen sich quasi selbst ab und bleiben daher vernachlässigbar klein. Zwar ist die Zyklische Theorie relativ neu und mag ihre eigenen Probleme haben, doch sie zeigt, dass Alternativen, denen nicht der unkontrollierbare Makel der ewigen Inflation anhaftet, denkbar sind.
Urpralltheorien bedeuten eine dramatische Abkehr vom Paradigma der Inflation. Derzeit spricht kein Indiz gegen sie. Zugleich haben sie gegenüber der Inflation einen wichtigen Vorteil: Wenn die Kontraktionsphase beginnt, ist das Universum bereits groß und klassisch – d. h. es gehorcht der Allgemeinen Relativitätstheorie -, und der Urprall tritt ein, bevor es so sehr schrumpft, dass Quanteneffekte wichtig werden.
[Eine andere, vielversprechende und gleichzeitig die provokanteste Alternative zum Inflationsmodell ist die Theorie der veränderlichen Lichtgeschwindigkeit oder VSL-Theorie (varying-speed-of-light theory). Sie geht davon aus, dass die vermeintliche Konstante der Lichtgeschwindigkeit in einem Urknall-Universum tatsächlich mit der Zeit variieren kann – so wie es bei Dichte und Temperatur der Fall ist. Nach der Inflationstheorie wurde im frühen Universum durch die schnelle Expansion des Raumes die Reichweite des Lichtes ungeheuer groß, scheinbar unabhängige Regionen standen dadurch miteinander in Verbindung und erreichten eine gemeinsame Temperatur und Dichte. Erst nach Ende der inflationären Phase verloren diese Regionen den Kontakt. Wie leicht einzusehen ist, könnte dasselbe ebensogut durch eine im frühen Universum erhöhte Lichtgeschwindigkeit erreicht worden sein. Die VSL-Theorie ist aber noch wenig weit entwickelt und momentan reine Spekulation.]
Fazit
Die Inflationstheorie wird heute in gleichem Maße wie die Elementarteilchenphysik modifiziert und weiterentwickelt. Das Universum vor der Inflation – und der Ursprung der Naturgesetze selbst – wird sich aber wohl erst mit Hilfe einer allumfassenden, fundamentalen physikalischen Theorie verstehen lassen. Wir benötigen eine Quantentheorie der Gravitation, wie z. B. die Stringtheorie oder die Schleifen-Quantentheorie, die allerdings beide gegenwärtig nicht gesichert bzw. experimentell bestätigt sind.
REM