Im 6. Jahrhundert v. Chr. versuchte sich eine kleine griechische Denkschule, die wir heute die ionischen Naturphilosophen nennen, an einer neuen Erklärung aller Naturvorgänge. Dabei gingen sie davon aus, dass diese nicht von Göttern verursacht und beeinflusst werden. So führte Anaximander wie schon sein Lehrer Thales die unendliche Vielfalt der Phänomene auf natürliche Veränderungen einer Ursubstanz zurück. Er setzte erstmals auch voraus, dass Himmel und Erde denselben Regeln gehorchen.
Die Kosmologie hat sich inzwischen von einer Spielart der Philosophie zu einer physikalischen Wissenschaft vom Universum als Ganzes – seiner Größe, seiner Gestalt und seinem Alter und seinen Veränderungen im Laufe der Zeit – gemausert. Sie beruht heute auf vier Quellen: Theorie, neuerdings Computersimulationen sowie Beobachtung und Experiment.
Grundlagen
Die wichtigste Grundlage der modernen Kosmologie ist die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein, im Wesentlichen eine klassische Theorie der Gravitation, die Raum, Zeit und Materie miteinander verknüpft. Sie erlaubt eine mathematische Beschreibung des Universums als Ganzes und bietet den Rahmen für eine ganze Reihe von kosmologischen Modellen, die im Einklang mit den astronomischen und teilchenphysikalischen Messungen stehen.
Eine weitere Grundlage ist das Kosmologische Prinzip, die Vorstellung eines isotropen und homogenen Universums. Demnach ist die Materie in wirklich großem Maßstab in alle Richtungen gleichmäßig (isotrop) und überall gleichartig (homogen) verteilt. Das Kosmologische Prinzip besagt also, dass das Universum als Ganzes keine Richtung und keinen Ort bevorzugt: Es sieht an jedem Ort und wohin man auch schaut gleich aus – abgesehen von Unregelmäßigkeiten auf kleinen Skalen. In der Mathematik bedeutet es, dass die Gleichungen, die man zur Beschreibung des Universums nutzt, überall die gleiche mathematische Form haben.
(Die Erklärung für die Gleichförmigkeit liefert das Modell der kosmischen Inflation. Danach soll ein hypothetisches Energiefeld namens Inflaton das Universum unmittelbar nach dem Urknall in Sekundenbruchteilen extrem vergrößert haben, was zu seiner fast perfekten Homogenität geführt habe. Die Physiker wissen allerdings nichts über die Herkunft und die Eigenschaften des Inflatonfeldes. Und sie sind sich nicht einmal sicher, ob es wirklich existierte.)
Das Kosmologische Standardmodell wird nicht nur von einer physikalischen Theorie getragen, sondern auch von Beobachtungen gestützt und mittels Modellrechnungen („Simulationen“) bestätigt, die Theorie und Beobachtung miteinander verknüpfen. Dabei stützt es sich vor allem auf drei Beobachtungen:
- Die Expansionsbewegung des Universums
Vesto Slipher stieß bereits 1923 auf den Befund, dass sich fast alle Spiralgalaxien von uns fortbewegen. Entfernungsmessungen Edwin P. Hubbles bewiesen dies 1929 eindeutig. Hubble entdeckte, dass die Geschwindigkeit der Galaxien direkt proportional zu ihrer Entfernung ist. Je weiter also eine Galaxie von der Erde entfernt ist, desto schneller „flieht“ sie. Das Maß dieser „Fluchtbewegung“ ist heute die Hubble-Konstante. Der beobachtete Fluchteffekt der Galaxien ist von jedem Standpunkt im Weltall aus derselbe; wir entschwinden also anderen Himmelskörpern ebenso wie diese von uns wegdriften.
2. Die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung
Die Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, die den gesamten Weltraum ausfüllt, entstand durch die ersten Photonen (Lichtteilchen), die 380 000 Jahre nach dem Urknall das Universum durchfluteten. Bei ihrer Entstehung war die Strahlung noch infrarot, ihre Wellenlänge 1000 Nanometer klein. Durch die Ausdehnung des Universums wurde diese immer mehr gedehnt – bis auf ihre heutige Länge von etwa einem Millimeter. Das entspricht einer Temperatur von minus 270°C.
Die Hintergrundstrahlung enthält Informationen über Ausdehnungsrate, Alter, Struktur, Zusammensetzung und Dichteverteilung des damaligen Kosmos, lässt aber auch Rückschlüsse auf eine frühere Epoche sowie auf die spätere Entstehung der ersten Sterne zu.
3. Das Überwiegen der leichten Elemente
Im heißen und dichten Frühstadium des Universums, bei Temperaturen zwischen ein und zehn Milliarden Grad Celsius, konnten für Minuten Wasserstoffkerne zu schwereren verschmelzen, ehe diese Prozesse durch die rasche Expansion des Kosmos und die daraus resultierende Abkühlung wieder gestoppt wurden. Aus jener Zeit stammt der Löwenanteil an Helium, Lithium und Deuterium, der überall im Universum in einem bestimmten Häufigkeitsverhältnis zum Wasserstoff steht. Es ist ein weiterer Beleg für die Entstehung des Universums in einem Urknall und liefert zudem eine genaue Abschätzung der Häufigkeit von Protonen und Neutronen im Kosmos.
Das Standardmodell der Kosmologie, das auf den besten astronomischen Messdaten gegründet ist, lässt sich gegenwärtig zum größten Teil mit nur wenigen Gleichungen und einem halben Dutzend unabhängigen Parametern (darunter die Energie- und Materiedichte und die Hubbel-Konstante) beschreiben. Für den Ursprung der Letzteren haben wir keine befriedigende Erklärung. Die Parameter müssen sehr präzise gewählt werden, um sie mit den Beobachtungen in Einklang zu bringen. Einige konnten bereits mit hoher Präzision bestimmt werden. Mit Hilfe der Parameter lassen sich Weltalter, Ausdehnungsrate, mittlere Materie- und Energiedichte des Universums, seine Geometrie und Krümmung quantitativ gut charakterisieren, doch nicht weiter ableiten.
Erklärung
Mit dem Kosmologischen Standardmodell lassen sich Tausende gemessene Daten erklären – bis an den Rand unseres beobachtbaren Universums. Kein anderes theoretisches Modell ist derzeit auch nur annähernd so erfolgreich. Es beschreibt ein räumlich flaches Universum (*1), dessen Expansion sich zunehmend beschleunigt. Es enthält kalte Dunkle Materie (CDM; cold dark matter; *2) sowie ein Energiefeld, das durch Einsteins Kosmologische Konstante Lambda (heute spricht man von Dunkler Energie; *3) beschrieben wird. Fachlich sprechen wir daher vom LambdaCDM-Modell.
*1: Ein flaches Universum ist das dreidimensionale Gegenstück von einem flachen Blatt Papier oder einer glatten Tischplatte. „Flach“ heißt für Physiker in diesem Fall, dass zwei Lichtstrahlen, die nebeneinander ins All gesendet werden, bis in alle Ewigkeit parallel laufen und niemals wieder an den Ausgangspunkt zurückkehren – und dass die Winkelsumme in einem Dreieck immer 180° ergibt. Wäre sie größer oder kleiner als 180°, wäre der Raum negativ oder positiv gekrümmt, wie ein Sattel oder eine Kugel. In einem flachen Universum entspricht die Summe aus der Massen- und Energiedichte genau der sog. „kritischen Dichte“. Präzise Untersuchungen der kosmischen Hintergrundstrahlung bestätigten endgültig, dass das Universum als Ganzes tatsächlich flach ist.
*2: Dunkle Materie ist eine postulierte Form von Materie, die für uns nicht direkt sichtbar ist, aber über die Gravitation mit der leuchtenden Materie wechselwirkt. Nur mit der Annahme ihrer Existenz sind die Bewegungen der sichtbaren Materie erklärbar, insbesondere der Geschwindigkeit, mit der sichtbare Sterne das Zentrum ihrer Galaxie umkreisen. Woraus Dunkle Materie besteht ist allerdings bislang noch völlig unklar. (Kalt heißt, dass diese Materieform aus schweren Teilchen aufgebaut sein soll, die eher den Atomkernen der „normalen“ Materie ähneln, und nicht aus leichten, schnellen und damit „heißen“ Elementarteilchen.)
*3: Die ebenfalls hypothetische Dunkle Energie soll das gesamte Universum gleichmäßig erfüllen. Nach Ansicht der Theoretiker wirkt sie genau umgekehrt wie die Gravitation, nämlich abstoßend- als eine Art Antischwerkraft. Akzeptiert man diese seltsame Energieform, so lassen sich die astronomischen Beobachtungen problemlos erklären. Sie macht es den Kosmologen möglich, die gefundene niedrige Materiedichte mit ihrem Wunsch nach dem kritischen Grenzwert und dementsprechend flachen Universum zu vereinbaren.
Das Universum besteht nach dem Kosmologischen Standardmodell zu 68% aus Dunkler Energie und zu 27% aus Dunkler Materie, während die normale, sichtbare Materie lediglich die verbliebenen 5% ausmacht. Während die Dichte der Materie durch die Expansion laufend sinkt, bleibt die Dunkle Energie konstant und dominiert die jetzt beschleunigte Phase der Expansion.
Der Aufbau des Universums ist hierarchisch: Sterne (eventuell mit einfachen Planetensystemen), Galaxien, lokale Gruppen (Galaxiengruppen), Galaxienhaufen („Cluster“), Superhaufen („Supercluster“) und schließlich so überdimensionale Gebilden wie die „Große Mauer“ mit mehreren hundert Millionen Lichtjahren Größe. Alle diese Strukturen sind durch die Schwerkraft stabil gebunden.
Das Universum sieht zwar nicht überall gleich aus, ist aber wohl auf jeder Hierarchie-Ebene oder Skala nach den gleichen Prinzipien aufgebaut (die Mathematiker sagen: „skalen-invariant“). Die Galaxien sind in einem verbindungsreichen, fadenförmigen Netzwerk angeordnet. Galaxienhaufen befinden sich dort, wo die Filamente des Netzwerks zusammentreffen. Sie sind wiederum zu langen, fadenartigen Gruppierungen formiert, den Superhaufen, wo sich Zehntausende einzelner Galaxien wie Perlen an einer Halskette aufreihen. Die gigantischen Ketten und Wände der Superhaufen gruppieren sich um riesige Leerräume, imaginäre kosmische Blasen, die über die Hälfte des Universums ausmachen. Es sind mit typischerweise bis zu 400 Millionen Lichtjahren Durchmesser die großräumigsten Strukturen im All. In ihnen ist keine oder nur sehr wenig leuchtende Materie erkennbar, aber Spuren der Dunklen Materie.
Bedeutung
Obwohl die Begriffe Dunkle Energie und Dunkle Materie letzten Endes nur Platzhalter für eine unbekannte Physik sind und auch die sog. Inflation hypothetisch ist, gibt es derzeit kein anderes theoretisches Modell, das auch nur annähernd so erfolgreich ist wie LambdaCDM. Den neuen Präzisionsmessungen zufolge ist unser Universum wohl tatsächlich unendlich groß, dehnt sich in alle Ewigkeit aus, wird von einer mysteriösen Vakuumenergie dominiert und gehorcht den einfachen Gesetzen der euklidischen Geometrie – d. h. es ist im Wesentlichen flach, ohne großräumige Krümmung. Außerdem stimmen Amplitude und Form der großräumigen Materiefluktuationen einigermaßen mit dem Vergrößerungseffekt überein, den die Inflation auf das Quantenvakuum ausüben sollte.
„Erstmals in der Geschichte der modernen Kosmologie ergeben alle Fakten zusammen ein stimmiges Bild“, meint der Astronomie-Historiker Owen Gingerich vom Harvard Smithsonian Centerfor Astrophysics. „… Doch wir sollten uns an das alte Motto erinnern, dass eine astronomische Theorie wahrscheinlich falsch ist, wenn sie mit allen Beobachtungen übereinstimmt, weil sicher einige der Messungen oder Voraussetzungen irrig sind.“
Tatsächlich beschreibt das Standardmodell der Kosmologie zwar viele Eigenschaften unseres Universums sehr gut, und es kann seine Struktur und Dynamik exzellent beschreiben, aber nicht wirklich erklären. Es gibt noch zahllose Probleme mit dem Anbeginn. So fehlt uns eine zufriedenstellende Beschreibung der Geschichte unseres Universums vor der Inflationsphase , d. h. in den ersten 10-35 Sekunden nach dem Urknall. Zudem macht das Modell nicht deutlich, wie sich die verschiedenen Prozesse , die die Struktur des Universums formten, gegenseitig beeinflussten. Und es gibt noch weitere Differenzen, die sich nur in den mathematischen Analysen zeigen und nicht ohne Weiteres anschaulich gemacht werden können.
Dunkle Materie, Dunkle Energie und Inflation sind immer noch weitgehend nicht geklärt. Sie können zwar mit ihren exotischen Eigenschaften gleichsam in den Rahmen der Relativitätstheorie „eingebaut“ werden. In jedem Fall sind aber bisher unbekannte physikalische Effekte oder Gesetze involviert – oder eine an sich gut etablierte Grundannahme ist falsch. Es wäre z. B. möglich, dass Dunkle Energie und Dunkle Materie nichts „Stoffliches“ im All , sondern lediglich Effekte einer abgewandelten Gravitationstheorie sind.
Vielleicht muss also tatsächlich die Allgemeine Relativitätstheorie modifiziert werden – und man könnte ein kosmologisches Modell entwickeln, das ohne Dunkle Materie, Dunkle Energie und Inflation auskommt. Die Mehrheit der Kosmologen ist zwar zurzeit nicht dieser Meinung. Doch haben Vertreter alternativer Theorien durchaus gewichtige Argumente. -Oder das Kosmologische Prinzip ist ein Irrweg.
Die Kosmologen werden ihr Standardmodell in Zukunft sicher erweitern müssen. Da es in der Wissenschaft keine letzten Wahrheiten und Begründungen gibt, ist es nicht ausgeschlossen, dass schon bald ein junger Wissenschaftler kommt und alles umkrempelt. Wie alle wissenschaftliche Ideen wird dann auch dieses Modell durch ein anderes erweitert bzw. sogar abgelöst werden. Das Weltbild von heute kann immer auch der Fehler von morgen sein.
REM