Die Bandkeramik – erste Bauernkultur in Mitteleuropa

Sie kamen vermutlich aus dem Nahen Osten und verbreiteten sich rasant über Kleinasien und weiter auf Booten über die Inseln der Ägäis und die fruchtbaren Ebenen Griechenlands, die damals offenbar menschenleer waren. Ein Zweig der Expansion ging weiter nach Norden und erreichte vor etwa 8200 Jahren das Karpatenbecken. Eine zweite Einwanderungswelle brachte vor etwa 8000 Jahren Ackerbauern aus dem Nahen Osten entlang der Donau ins Gebiet des heutigen Ungarn.

Ursprung und Ausbreitung

Irgendwann zwischen 7700 und 7600 v. h. entwickelte sich dann im heutigen Nordwestungarn und in der Südwestslowakei die erste Bauernkultur in Europa, deren Kennzeichen Keramikgefäße mit eingeritzten linearen und bandförmigen Mustern waren: die bandkeramische oder linearbandkeramische Kultur.

Bald begann sich die Bandkeramik aus ihrem Kernbereich auszubreiten, warum, ist noch ein Rätsel. Bemerkenswert ist die Geschwindigkeit, mit der die Expansion vonstatten ging: Innerhalb von nur etwa 150 bis 200 Jahren hatte sie samt Ackerbau und Viehzucht im Westen den Rhein und in Norden die Oder erreicht. Ab 7500 v. h. blühten etwa auf den Lössböden zwischen Niederbayern und der Jülicher Börde ihre bäuerlichen Siedlungsinseln auf.

Wie die Ausbreitung der Kultur stattfand, ob durch Migration oder lediglich Technologie-Transfer, ist heute noch umstritten. Derzeit überwiegen die Migrationisten, die von einer massiven Einwanderung neolithischer Siedler samt ihrem Know-how von Ackerbau und Viehzucht nach Mitteleuropa überzeugt sind. Anhand der genetischen Signaturen hat man die potenzielle Route der Menschen aus dem Nahen Osten und Anatolien über das Karpatenbecken bis nach Mitteleuropa identifiziert.

Andere Wissenschaftler, die Indigenisten, glauben, dass es sich bei der Ausbreitung von Ackerbau und Viehzucht hauptsächlich um Technologie-Transfer handelte. Sie sehen die Neolithisierung als Diffusionsprozess: Nicht Menschen seien gewandert, sondern technologische Neuerungen und die Wirtschaftsweise – also die Kultur.

Wegen der kulturellen Kontinuität zwischen den Feuerstein-Artefakten aus dem Mesolithikum (Mittelsteinzeit) und den Bandkeramikern glaubt z. B. der Frankfurter Archäologe Jens Lüning, dass es sich bei den Trägern der Kultur um die gleichen Leute handelte – ergänzt allenfalls durch einen kleinen Zuschuss von Zuwanderern aus Anatolien oder dem Balkan. Er hält es für denkbar, dass bis zu 75% der alten mesolithischen Bevölkerung in die späteren Bandkeramiker eingeflossen ist.

Der Archäologe Marek Zvelebil (University of Sheffield) geht davon aus, dass die Menschen im 7300 Jahre alten tschechischen Fundort Vedrovice Mesolithiker waren, die sich entschlossen hatten, die Landwirtschaft anzunehmen. Auch er sieht eine Kontinuität zwischen der mesolithischen und der frühen bandkeramischen Kultur – nicht nur bei der Feuersteinbearbeitung.

Die frühen bandkeramischen Bauern hatten aber genetisch rein gar nichts mit den mesolithischen Jäger-Sammlern zu tun. Deren Vorfahren waren nach der Eiszeit aus Südwesteuropa gekommen und hatten den Westen und Norden des Kontinents zu einem beträchtlichen Teil wieder besiedelt. Mehr als 80% der untersuchten mesolithischen Jäger-Sammler aus der Bandkeramik-Zeit tragen einer Studie zufolge genetische Merkmale, die unter den Bauern nicht ein einziges Mal anzutreffen sind, während die mesolithischen Bandkeramiker genetische Merkmalsbündel tragen, die wiederum bei Jäger-Sammlern überhaupt nicht vorhanden sind.

In der Uckermark beispielsweise trafen die beiden Gruppen um 7300 v. h. aufeinander. Nirgendwo sonst waren die frühen Bauern so weit nach Norden vorgedrungen wie hier ins fruchtbare Odertal mit seinen ertragreichen Böden entlang des Flusses. Die Lager der Jäger und Sammler lagen offenbar nahe. Man hat sich wohl getroffen und ausgetauscht. Solche Beziehungen können, wenn sie für beide Gruppen nützlich sind, sogar für Populationen, die sich misstrauen, manchmal über viele Generationen stabil bleiben.

Die Hypothese eines friedlichen Nebeneinanders von bäuerlichen Immigranten und lokalen Gruppen in Siedlungen der frühen Jungsteinzeit werden durch Analysen von Knochen und Zähnen gestützt. Der Mainzer Wissenschaftler Joachim Burger geht von einem Austausch von Werkzeugen aus. Für solche Kontakte zwischen den beiden ungleichen Kulturen gebe es neben den identischen Steinwerkzeugen auch direkte Nachweise.

Der Archäologe Ron Pinhasi vom University College im irischen York geht insgesamt von sehr begrenzten Kontakten der frühen Bauern im Binnenland mit nomadisierenden Kleingruppen von Mesolithikern aus, da Letztere auswichen und sich meist an größeren Seen und an den Meeresküsten aufhielten. (Erst nach 5100 v. h. erreichten Ackerbau und Viehzucht auch die norddeutsche Küste.)

Irgendwann hat dann die Zeit über die Berührungsängste gesiegt, und die Populationen der Bauern und Jäger-Sammler begannen sich zu mischen. Die Vermischung soll in Mitteleuropa etwa 1500 Jahre nach der Einwanderung der Neolithiker begonnen haben, in Skandinavien sogar noch viel später.

Neuere archäologische Befund belegen die Koexistenz unterschiedlicher Kulturtraditionen. Die Forscher erkennen mehrere Schübe von Zuwanderung, sprich mehrere genetische Linien verschiedenen Alters. So dürfte sich auch eine Kultur mit Ackerbau, Viehzucht und Jagd über Handelskontakte von der Iberischen Halbinsel und Südfrankreich kommend entlang der Rhone und dem Doubs bis ins Rhein- und Moseltal und weiter nach Osten ausgebreitet haben. 7600 v. h. lebten diese Mesolithiker-Gruppen außer von der Jagd auch von der Schaf- und Ziegenzucht. Sie dürften Getreide in kleinen Gärtchen angebaut haben, aber noch zogen sie in kleinen Gruppen im jahreszeitlichen Rhythmus von Lagerplatz zu Lagerplatz. Gleichzeitig begannen sie aber auch, Keramik herzustellen.

Lebensweise

Als die jungsteinzeitliche Kultur der Bandkeramik in Mitteleuropa Fuß gefasst hatte, verstanden es die Menschen nicht nur, Getreide anzubauen und Vieh zu züchten, Feuerstein zu schleifen und Keramik zu brennen. Sie wohnten auch schon in festen, bis zu acht mal zwanzig Meter langen Holzhäusern. Offensichtlich waren sie ausgezeichnete Zimmerleute und verfügten schon über eine ausgefeilte Technik in der Holzbearbeitung.

Ein lehmverputztes Flechtwerk aus Ruten zwischen dicken Außenpfosten bildete die Außenfassade des Hauses, ein Estrich aus Lehm ebnete den Boden mit der Feuerstelle in der Mitte, ein erhöhter Speicherteil für Getreidevorräte lag im hinteren Bereich. Eine sechs- bis achtköpfige Familie fand hier Platz. Jede neue Generation baute sich ein eigenes Haus.

Zu Beginn der bandkeramischen Ära wurde großflächig Wald gerodet und ein Siedlungsplatz mit ein bis zwölf Langhäusern angelegt. Klar bevorzugt wurden Regionen mit fruchtbarem Lößboden, um Emmer und Einkorn und auch Hülsenfrüchte anzubauen. Dazu wurden Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen gezüchtet. Diese stammten bis eventuell auf die Schweine sämtlich aus dem Nahen Osten, wie genetische Untersuchungen beweisen.

Die Menschen lebten also schon in einer weitgehend offenen, zumindest teilweise kulturell geprägten Landschaft. Sicheln, geschliffene Steinbeile und Hacken aus Geweih gehörten zum Alltag. Dass die Bandkeramiker ausgezeichnete Handwerker waren, beweist neben dem Hausbau auch die Qualität ihrer hölzernen Brunnen. Sie wussten sehr genau, welches Holz für welchen Zweck in Frage kommt. Aus Rindenbast hergestellte Taschen und Beutel dienten als Behältnisse zum Wasserschöpfen.

Brunnen dienten aber nicht allein der Wasserversorgung, sondern wohl auch als kultische Orte. Ein starkes Indiz für religiöse Nutzung zumindest mancher der Brunnen erbrachte eine Ausgrabung im sächsischen Brodau. Dort wurden am äußersten Rand der Grube die Überreste eines aufrecht gesetzten Ferkels entdeckt, auf der gegenüberliegenden Seite die Hälfte eines zweiten. Wahrscheinlich wurden sie vor der Inbetriebnahme als Opfer dargebracht.

Vermutlich zu medizinischen oder gar kulturellen Zwecken wurden Mohn und Bilsenkrautsamen verwendet. Beide rufen rauschartige Zustände hervor, und beide waren in Mitteleuropa ursprünglich nicht heimisch.

Fasern aus Leinpflanze, Nessel und Baumbast verwoben die Bandkeramiker zu Textilien. Tonfiguren zeigen Frauen mit Lockenfrisuren und zu Haarkränzen gedrehten Zöpfen, während die Männer flache, dreieckige Kappen trugen – ein Mittelding zwischen Dreispitz und Baskenmütze. Auch die noch heute durch ihre Ästhetik beeindruckenden Keramikgefäße führen uns vor Augen, dass sie einen ausgeprägten Sinn für Schönes hatten und ihre Welt alles andere als trist war, auch wenn der Überlebenskampf dieser frühen landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft sicherlich zentral war. Armringe, Schmuckanhänger und Gürtelverschlüsse, hergestellt aus den handtellergroßen Spondylus-Muscheln, waren verbreitet. Die Frauen färbten sich mit dem Pulver von Farbsteinen das Haar leuchtend rot. Die Steine waren so wertvoll, dass man sie den Verstorbenen mit ins Grab gab.

Immer deutlicher wird, dass ein weitgespanntes Handelsnetz Europa damals schon durchzog. So propagiert z. B. der Geologe Alexander Binsteiner eine „Feuersteinstraße“ als eine der ältesten europäischen Handelswege vom heutigen Ungarn bis nach Holland. Die Feuersteinhändler waren teilweise mit Einbäumen unterwegs. Eine weitere Handelsroute führte von Regensburg in die Prager Bucht.

Die Siedlungen bandkeramischer Kultur waren sicherlich wirtschaftliche und soziale Anziehungspunkte. Tatsächlich wäre das enorme Anwachsen von Dörfern und Weilern um den Faktor zehn zwischen 7500 und 7000 v. h. kaum ohne einen solchen Zuzug zu erklären. Allerdings kam es auch immer wieder zu Einbrüchen der damaligen Bevölkerungsdichte, die nicht auf Klimaänderungen zurückzuführen sind. Möglicherweise hatten sich die frühen Bauern von einer oder zwei Feldfrüchten abhängig gemacht, so dass sie bei Ernteausfällen keine Alternative hatten.

Mit den Bandkeramikern hatte sich auch in Mitteleuropa der Wechsel zur produzierenden Wirtschaftsweise der Jungsteinzeit, die 11 000 Jahre v. h. im nahöstlichen „fruchtbaren Halbmond“ begonnen hatte, durchgesetzt.

Untergang der bandkeramischen Kultur

Das Ende der Bandkeramiker vor 6900 Jahren ist rätselhaft. Es muss eine dramatische Krise gewesen sein. In den archäologischen Funden zeichnen sich soziale Konflikte und gewalttätige Auseinandersetzungen ab.

Um 7300 v. h. hatte sich der Erwärmungstrend umgekehrt, die Niederschläge nahmen wieder ab. Die ersten Anzeichen für einen schwindenden Kulturzusammenhalt sind Probleme in der Versorgung mit Feuerstein, der damals in Bergwerken abgebaut wurde. Eine gute Steinqualität war wichtig für die Bandkeramiker, die die meisten Werkzeuge vom Messer bis zur Sichel – aber auch Waffen – aus dem „Stahl der Steinzeit“ fertigten. Um 7000 v. h. wurde aber der Silex zur Mangelware.

Vielleicht mussten Menschen einer Gemeinschaft ihrer Nachbargruppe die Lebensgrundlagen (Saat, Ernte, Vieh) entreißen, um sich selbst – etwa nach Missernten – vor dem Verhungern zu schützen. Als Reaktion auf die unruhigen Zeiten begannen die steinzeitlichen Bauern überall in Mitteleuropa, ihre Dörfer mit Gräben und Zäunen bzw. Holzpalisaden zu schützen. In einem Haus wohnten jetzt mehrere Familien. Viele verließen sogar ihre Dörfer; neue Behausungen wurden auf leicht zu verteidigenden Bergnasen oder in Flusskrümmungen angelegt.

Gegen Ende der bandkeramischen Ära häuften sich die Ausbrüche von organisierter Massengewalt. Gräber mit gezielt getöteten und verstümmelten Menschen von ganzen Ortschaften zeugen davon: Orgien der Zerstörung! Auch viele Hunde fand man unter den Opfern.

Vor rund 7000 Jahren kam es zum Beispiel bei Herxheim, südöstlich vom pfälzischen Landau, zu einer besonders ungewöhnlichen Eruption von Gewalt, bei dem ca. 1000 Menschen massakriert wurden. Die Toten stammten aber nicht aus der Pfalz, sondern aus den Mittelgebirgen, etwa den Vogesen und dem Schwarzwald. Ob sie als Gefangene oder freiwillig hierher kamen, weiß man nicht. Die Opfer wurden behandelt wie Tiere beim Schlachten: Akribisch wurden Fleisch und Sehnen von den Knochen geschnitten, Augäpfel wurden entfernt und Schädel skalpiert. Danach wurden alle Knochen zertrümmert. Möglicherweise kam es zu Kannibalismus.

Offensichtlich kamen bandkeramische Kulturen hier vor 7000 Jahren zu einem Ritual zusammen, das Menschenopfer beinhaltete. Die Keramik deutet darauf hin, dass dazu Menschen aus Gegenden von bis zu 400 Kilometern Entfernung hierher kamen – ein enormer logistischer Aufwand, der Netzwerke und weiträumige Kontakte voraussetzt. Die menschlichen Überreste von den Tätern fehlen, so dass sie wohl nach dem Massaker den Ort für immer verließen.

Für wahrscheinlich halten Experten, dass das Ritual ein blutiger Schlusspunkt der Epoche war. Die Menschen haben nämlich auch ihre Keramik zerstört – und diese ist danach in ihrer charakteristischen Verzierungsform nie wieder aufgetaucht.

Es verschwanden also wohl nicht die Menschen, die Träger der Kultur, sondern die Kultur selbst ging verloren. Die Gesellschaft zerfiel in kleine Gruppen mit eigenen Kulturmerkmalen, die sich in größeren, von Gräben umgebenen Dörfern zusammenschlossen.

REM

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